24.01.11
"Frauen können mental stärker sein" - Interview in der "Welt"
14 000 Frauen leisten den Dienst an der Waffe. Jasna Zajcek hat Soldatinnen begleitet. Ein Gespräch über Tussis, Sprüche und die Angst des Mannes vor kräftigen Mädchen
Vor zehn Jahren entschied der Europäische Gerichtshof, dass Frauen nicht nur als Ärztinnen und Sanitäterinnen zur Bundeswehr dürfen - sondern auch, um "Dienst an der Waffe" zu leisten. Inzwischen tun das rund 14 000 Frauen. Jasna Zajcek hat Soldatinnen bei der Ausbildung begleitet und immer wieder Einsätze und Missionen besucht - unter anderem im Sudan, im Kosovo und in Dschibuti. Jetzt hat sie ein Buch darüber geschrieben: "Unter Soldatinnen" (Piper-Verlag). Mit ihr sprach Jennifer Wilton.
Die Welt: Ihr Buch trägt den Untertitel "Frontbericht" - an welcher Front kämpfen deutsche Soldatinnen denn heute vor allem?
Jasna Zajcek: Eine Front im eigentlichen Sinne gibt eigentlich nur in Afghanistan, offiziell ja ein "kriegsähnlicher Einsatz". Dort sind auch Frauen im Einsatz. Aber im Allgemeinen kämpfen sie - wie die Männer - zunächst gegen sich, also den inneren Schweinehund, denn schon die Ausbildung ist hart. Sie kämpfen aber nicht mehr an der emanzipatorischen Front. Da haben sie sich durchgesetzt.
Die Welt: Sie haben selbst an der Grundausbildung in der Marineschule für Offiziersanwärter teilgenommen, an Schießübungen, Gewaltmärschen, Manöversimulationen. Wie sehr haben Sie mit sich gekämpft?
Zajcek: Ich habe vorher gedacht, was da auch auf dich zukommt, wird hart. Aber ich hatte keine Vorstellung davon, was hart heißt. Wenn man sich im Fitnessstudio quält, hört man halt nach anderthalb Stunden auf. Das ist hier keine Option. Dazu das Funktionieren, der Drill, das Gebrüll.
Die Welt: Eines der Argumente gegen Frauen in der Bundeswehr war oft genug ihre körperliche Unterlegenheit.
Zajcek: Also: Es ist hart, aber es ist zu schaffen. Was man als Offiziersanwärter leisten muss, ist auf dem Niveau des deutschen Sportabzeichens. Mir ist klar geworden, dass Frauen körperlich das Gleiche leisten, mental manchmal sogar noch stärker sein können als Männer.
Die Welt: Sie beschreiben auch, dass den Mädchen der Rucksack abgenommen wurde ...
Zajcek: Es gab ein Mädchen, das wirklich unsportlich war, sie hat es nicht geschafft. Bei einer anderen aber ist der Ehrgeiz so gewachsen, dass sie nicht nur den frühmorgendlichen Zehn-Kilometer-Marsch, sondern nach drei Wochen auch die 25 Kilometer durchgehalten hat, mit 26 Kilo Gepäck. Es ist die Kopfschranke, die man überwinden muss. Das wurde uns auch immer wieder gesagt: Der Körper kann noch mehr, der Körper kann noch dreimal mehr, wenn der Kopf schon sagt, es geht nicht mehr.
Die Welt: Die Offiziersanwärter hatten gerade erst angefangen ...
Zajcek: Mein Eindruck war, dass eher die Mädchen ein realistisches Bild von dem Job hatten. Die Jungs waren doch überrascht davon, was ihnen an körperlichem Engagement abgefordert wird, dazu das Lernen. Die Mädchen haben sich vorher viel mehr informiert, im Bekanntenkreis gefragt, im Internet gesucht. Die Jungen waren oft nur beim Wehrdienstberater. Und dann sitzen sie irgendwann auf ihrer Fregatte und sehen 200 Tage im Jahr kein Land und ärgern sich, dass sie immer nur die gleichen Maschinen bedienen müssen.
Die Welt: Die letzte Konsequenz vom "Dienst an der Waffe" ist, dass Soldatinnen zum Töten ausgebildet werden. Gab es unter ihnen eine Diskussion darüber?
Zajcek: Das wird ziemlich ausgeblendet, bei ihnen wie bei den Männern. Es ist etwas Abstraktes, eine Frage der Verteidigung, so legitimiert man das vor sich selber, der Verteidigung nicht mal des eigenen Lebens, sondern jenes des Kameraden, den man schützt, deckt.
Die Welt: Das ist 18-Jährigen so klar?
Zajcek: Nein, das ist ihnen nicht klar.
Die Welt: Die ersten Offiziersanwärterinnen beklagten vor einigen Jahren noch ihre Sonderrolle: Entweder sie würden zu vorsichtig behandelt oder aber abgelehnt.
Zajcek: Nach meiner Erfahrung ist das nicht mehr so. Es gibt wenig sexuelle Übergriffe, auch verbaler Art. Und es gibt die sogar in beide Richtungen: Wir hatten ein Mädchen im Nachbarzug, die hat sich immer bei einem Kameraden ins Bett gelegt, kurz vor Zapfenstreich. Er fand das putzig. Die Mädchen, die eine Offiziersanwärterausbildung machen, waren alle sehr selbstbewusst, auch im Umgang mit Männern.
Die Welt: Aber den ein oder anderen Spruch mussten Sie durchaus hinnehmen, oder?
Zajcek: Ja, natürlich - als wir die Stuben putzen sollten, sagte ein Seekadett einmal: "Sehen Sie es positiv, da lernen Sie etwas für ihr Leben nach der Bundeswehr." Aber generell muss ich sagen: Während ich die Uniform trug, haben die sich relativ brav zurückgehalten. Als ich dann beim Einsatz in Dschibuti war und nachmittags die leicht angetrunkenen Herren Unteroffiziere im Hotel befragt habe, kamen andere Dinge heraus: dass sie Angst haben vor großen und kräftigen Frauen, zum Beispiel. Und die Frauen bei der Bundeswehr - es ist ziemlich leicht, dort zu viel zu essen - sind oft groß und kräftig. Die Jungs wollen lieber kleine, süße Mädchen. Ich habe einmal eine Soldatin erlebt, die entsprach mehr dem Typ. Die hat sich noch auf dem Schiff geschminkt und hatte auch mal Liebesbriefe mit eindeutigen Einladungen in der Hängematte. Die anderen fanden das nicht so lustig. Die sagten dann schon, hey, das ist so eine Tussi, wir segeln hier bei elf Windstärken, und die macht sich die Wimpern. Da ist dann die Frauensolidarität eher eingeschränkt.
Die Welt: Also passen sich die Frauen an? In einem Bericht des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr war vor zwei Jahren noch von einer "Integrationsstrategie der Assimilation" die Rede ...
Zajcek: Auf der "Gorch Fock", dem Segelschulschiff, gibt es eine Frau bei der Stammbesetzung, die sagte den Mädels: Ihr seht ja, wir sind hier eine Männergesellschaft, da kriegt ihr eben manchmal einen Spruch, denn die Herrschaften sind richtige Seeleute. Auch solche, die sagen, Frauen bringen Unglück. Das Wichtigste sei, einen Mittelweg zu finden - also nicht, sich mit den Jungs gemein zu machen, nicht ständig zu fluchen oder umgekehrt sexistisch zu sein. Aber eben immer einen flotten Spruch parat zu haben. Muss man auch, die Männer sind zum Teil so frech, dass sie mich sprachlos gemacht haben.
Die Welt: Sie waren in fast allen Auslandseinsätzen, im Kosovo, im Sudan ...
Zajcek: Mich hat überrascht, dass auch im Einsatz so viel Verwaltungstätigkeit erledigt werden muss und ziemlich viel Langeweile vorherrscht. Selbst in Afghanistan, das weiß ich aus zweiter Hand. Ich war aber auch beeindruckt von dem Auftritt der Soldaten im Ausland, im Kosovo und in Sarajewo zum Beispiel, wo sie sehr beliebt sind. Es gab andere Situationen, die waren zum Verzweifeln - im Libanon etwa. Da sollte die libanesische Armee ausgebildet werden - ein Schuss in den Ofen, für mein Gefühl. Die haben das gar nicht ernst genommen, konnten mit Geräten nicht umgehen, kein Englisch verstehen. Es gab eine Situation, in der eine deutsche Ärztin eine Schulung leitete, und die hörten kaum zu. Haben sie noch nicht mal angeschaut. Sogar der Kommandant spielte auf seinem Handy herum.
Die Welt: Lag das auch daran, dass sie eine Ärztin war? Eine Frau?
Zajcek: Ja, Sicher. Der libanesische Kommandant akzeptiert eine junge deutsche Frau nicht als jemand, der ihm Weisungen geben kann, das ist klar.
Die Welt: Ist das nicht in einigen Einsatzländern generell ein Problem? Zumal in solchen der Scharia, wie etwa dem Sudan?
Zajcek: Das ist schwer zu sagen. Im Sudan etwa wird die Scharia lockerer gehandhabt als in Saudi-Arabien. Im Zweifel muss man sich immer behaupten als Frau, klar. Für die Mission im Sudan muss man mindestens Offizier sein. Wenn eine Frau aber Offizier bei der Bundeswehr ist, dann hat sie schon sehr lange verstanden, wie man sich Respekt verschafft.
Die Welt: Auch wegen der Einsätze ist ein Privatleben oft schwierig. Ist das für die Frauen ein größeres Thema?
Zajcek: Nein, nein, also erst mal sind es die Männer, die das Privatleben im Zweifel nicht hinkriegen! Alle sind sie beruflich stark eingebunden. Aber die Soldatinnen sind in einem Männerklub unterwegs. Die Chance, einen zu treffen, der ihnen gefällt, ist sehr groß. Bei den Männern ist es genau umgekehrt.
Die Welt: Und wenn es um Familie geht?
Zajcek: Die Armee wird immer familienfreundlicher. Dass nicht nur Frauen, sondern auch Männer Erziehungsurlaub nehmen können, ist keine Frage mehr. Ich kenne einen Fregattenkapitän - der ranghöchste deutsche Militärangehörige, der je in Elternzeit gegangen ist -, der sagt: Das erste Kind habe ich nie gesehen, beim zweiten möchte ich jetzt alles richtig machen. Ich will nach Hause für zwei Jahre.
Die Welt: Aber eine Soldatin wird kaum sagen können: Das erste Kind habe ich nie gesehen.
Zajcek: Aber das Problem stellt sich ja auch in anderen Berufen, da sind die Unterschiede gar nicht so groß. Eins ist schon klar: Richtig Karriere kann man nur machen, sagen die Soldaten, wenn man zunächst die Familie hinten anstellt.
Die Welt: Haben Frauen die Bundeswehr verändert?
Zajcek: Ein bisschen, ja, denn, das haben mir viele Dienstälteste gesagt, der Umgangston ist besser geworden. Wenn Frauen dabei sind, achten die Männer mehr auf ihr Mundwerk. Und auf die Manieren - auch wenn mir das jetzt nicht immer so aufgefallen ist. Doch: Die freuen sich, dass Frauen eben ausgleichend wirken.
Posted by jaz at 24.01.11 0:02