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19.02.09
Bundeswehr probt Piratenjagd
Die Bundeswehr soll vor der Kueste Somalias Piraten fangen. Den Einsatz probt die deutsche Marine in Eckernfoerde - vor allem die sportliche Herausforderung reizt viele der Soldaten.
taz, 19.02.2009
Entschlossen, ernst und kampfbereit blinzelt Oberstabsgefreite Nicole H. im winterlichen Sonnenschein dem imaginaeren Feind entgegen. Ein Kamerad der Spezialisierten Einsatzkraefte der Marine (SEKM) sichert ihren Ruecken. Flink pirschen sich die SoldatInnen auf dem Kasernengelaende der Marine in Eckernfoerde vor. Gerade haben Nicole und ihr Team sich in Sekundenschnelle aus zwoelf Metern Hoehe abgeseilt. Simulation: Fremdes Gebiet betreten und erkunden.
Mit vorgehaltenen Waffen,
immer Ruecken an Ruecken mit einem Partner, bewegt sich das zehnkoepfige Boarding-Team in leicht geduckter Gangart umsichtig ueber das verschneite Gelaende, die 10 bis 18 Kilo schwere Ausruestung um den Leib gezurrt, die Pistole im Anschlag.
Die 23-jaehrige Nicole aus Kuehlungsborn ist eine deutsche Soldatin, wie man sie sich wuenschen mag - vorausgesetzt natuerlich, dass man sich ueberhaupt deutsche SoldatInnen wuenscht. Aber wenn es schon die Bundeswehr, dann auch noch im Auslandseinsatz, geben muss, dann doch bitte mit genau solchen Frauen an der Waffe - es weckt Assoziationen an die modernen Heldinnen der Computerspiele.
Wie man sich wohl als somalischer Pirat gegenueber so einer mit Hightechwaffen ausgeruesteten, offensichtlich selbstbewussten und mutigen Frau gegenueber fuehlen mag? Vom ostafrikanisch-emanzipatorischen Aspekt aus betrachtet ist ihr Job sicherlich als revolutionaer zu betrachten. So jagen wir Piraten!
Die Marine hat die Presse geladen, um zunaechst an Land zu demonstrieren, wie die Mitglieder der Spezialisierten Einsatzkraefte der Marine Schiffe "boarden", also fremde Schiffe kontrollieren und durchsuchen. Deutschlands Marine ist wieder wer - auf der Unifil-Mission vor der Kueste Libanons, bei der "Operation Enduring Freedom" und eben bei der Operation "Atalanta" auf Piratenjagd am Horn von Afrika. Hier werden spezielle Faehigkeiten im Kampf gegen den organisierten Terrorismus und die Bedrohung durch Piraten benoetigt.
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Hauptaugenmerk bei "Atalanta" liegt wohlgemerkt nicht auf der absichernden Begleitung von Luxuskreuzfahrtschiffen durch die Meerenge zwischen Jemen und Somalia, sondern auf der Sicherung der internationalen Hilfsgueterlieferungen. Denn rund 3,2 Millionen Menschen, rund ein Drittel der somalischen Bevoelkerung, sind von diesen Lieferungen abhaengig. 90 Prozent der Gueter erreichen das nahezu regierungslose Land auf dem Seeweg. Jedes gekaperte Schiff der Welthungerhilfe bedeutet mehr Hunger an Land.
Nicole H. ist eine der zwei Frauen, die in dieser Einheit dienen. Bemerkenswert, denn, wie Kompaniechef Kapitaenleutnant Christian Duerr erklaert, von zehn, meist maennlichen Anwaertern schaffen es gerade mal sechs, die Ausbildung bis zum Ende zu durchlaufen. Die Anforderungen an koerperliche Fitness, Belastbarkeit, aber auch an die Psyche lassen die Rekruten schon in der Ausbildung taeglich ihre Grenzen spueren.
Das Trainingsmodul "†berleben auf See" beinhaltet simulierte Hubschrauberabstuerze ins Meer, bei denen in voller Montur der Ausweg gefunden, aufgetaucht und in Sicherheit geschwommen werden muss. Daneben werden Schie§en, waffenlose Selbstverteidigung, Taktik, Klettern und das Abseilen von Haeusern und aus dem Helikopter geuebt. "Na klar macht das Spa§, wir haben immer Action, und ich habe einen Beruf, der viel mit Sport zu tun hat - das, was ich immer wollte", erzaehlt Nicole H. Sie strahlt dabei. Es besteht kein Grund, ihr nicht zu glauben, dass sie gerne eine deutsche Lara Croft ist, die nur eben nicht vom Computerspieler, sondern von Bundestagsmandaten in den Einsatz geschickt wird.
Der Job sei fuer sie als Frau kein Problem. Anfangs habe sie sich durchsetzen muessen, aber inzwischen sei sie akzeptiert. Aber das ginge zu Beginn jedem so, auch den maennlichen Kollegen. Wie sie darauf kommt, sich fuer acht Jahre zu verpflichten, Deutschlands Grundsaetze weltweit an der Waffe zu verteidigen? "Ich war schon immer sportbegeistert und wollte einen spannenden Job, habe auf Anraten meiner Eltern aber erst mal Erzieherin gelernt", sagt Nicole H.
Die Anforderungen fuer eine Ausbildung bei den Spezialisierten Einsatzkraeften der Marine habe sie locker erbracht, dann musste sie sich mit dem Krafttraining anfreunden und schaffte es, die sechsmonatige Ausbildung mit viel Kraft- und Lauftraining durchzuhalten. Obwohl ihr anzumerken ist, wie sehr sie ihre Arbeit liebt, ist sie realistisch: "2011 habe ich meine acht Jahre abgedient und glaube, dass ich dann das will, was die meisten Frauen irgendwann wollen" - heiraten und Kinder.
Da sie als Sanitaeterin, neudeutsch "Medic", taetig ist, kann sie sich gut vorstellen, spaeter als Rettungssanitaeterin zu arbeiten. Vorher aber will sie noch einige Einsaetze erleben - vier waren es bisher, jeder dauerte drei Monate. Mehr als hundert fremde Schiffe hat sie schon geboardet - wie das konkret vonstattengeht, demonstriert die Marine in der naechsten Simulation.
Im Hafen blaest eisiger Ostseewind. Das ohrenbetaeubende Rattern der Rotorblaetter uebertoent das Geschrei der Moewen. Das Boarding-Team naehert sich per Helikopter einem Mehrzweckboot der Marine, das als Piratenschiff fungiert. In zehn Meter Hoehe wird die Tuer des Hubschraubers geoeffnet, das Seil herabgelassen, und ploetzlich sind zehn Soldaten auf dem Schiff gelandet, auf dem sich feindliche Kraefte versteckt halten sollen.
Nur eine Sekunde verharrt das Team, in Zweiergrueppchen, an Deck des verwinkelten Schiffes, dann sichert es mit vorgehaltener Waffe Treppen, Durchgaenge und einzelne Raeume. So wie es in der Realitaet passiert - vorausgesetzt, das Schiff leistet keinen aktiven Widerstand gegen eine Kontrolle. "90 Prozent der Schiffe in den Gewaessern vor Somalia und dem Jemen sind bewaffnet. Meist sind es einfache Fischerboote - die Besatzung will ihren Fang verteidigen koennen", erklaert Kapitaenleutnant Duerr. Mitnichten ist also ein kleines Dhau gleich ein Piratenschiff, nur weil es automatische Waffen an Deck fuehrt oder versteckt hat.
Aber ob sich Piraten denn nicht auch als Fischer tarnen, sich freundlich kontrollieren lassen und nach Abziehen des Boarding-Teams den naechsten Frachter entfuehren koennten? "Natuerlich kann das sein. Deshalb suchen wir nach zusaetzlichen Indizien", sagt Duerr. Falls diese gefunden werden oder Fracht und Papiere nicht uebereinstimmten, wird das Schiff zur weiteren Kontrolle in den naechsten Hafen geschickt. "Das Einsatzspektrum reicht von 12 Meter kleinen Fischerbooten bis hin zu 220 Meter langen Containerschiffen", erlaeutert Duerr.
Auf dem Unterdeck wird unterdessen die Durchsuchung demonstriert: Trotz der Enge der Gaenge pirschen sich die Spezialisten wieselflink vor, unter ihnen Malte, 25. Der Stabsgefreite hat den Job des "…ffners", der auch verschlossene Raeume und verriegelte Kisten an Bord oeffnen und untersuchen muss. "Ich fuehre alles mit mir, was auch ein normaler Schluesseldienst dabei hat - und dazu noch eine Bohrmaschine, Sprengstoff und eine Shotgun." Im Einsatz habe er aber bislang nur eine Kiste oeffnen muessen, in ihr seien blo§ Zigaretten gelagert gewesen.
Doch jetzt wird gezeigt, wie das SEKM mit Verdaechtigen, die sich auf Schiffen verstecken, umgeht: Im gleichen blitzschnellen Tempo, mit dem das Schiff geboardet wurde, wird nun der Verdaechtigen-Darsteller aus seinem Versteck gezerrt und durchsucht. "Get out!" - "Your arms up!" - "Down on the floor!" Der Darsteller liegt gefesselt auf dem Boden des Stahlschiffes. Das SEKM ist nicht zimperlich, man merkt den Druck, unter dem das Team steht. Denn theoretisch kann in jedem Raum des fremden Wasserfahrzeugs die toedliche Bedrohung lauern. "Jeder Einsatz ist eine herausfordernde Situation", sagt Kompaniechef Duerr.
Doch Schockereignisse, die ein posttraumatisches Belastungssyndrom nach sich ziehen koennen, haetten die deutschen Boarding-Teams noch nicht erlebt. Zudem werde jeder Einsatz intensiv nachbereitet. Die dramatischsten Bilder seien den Soldatinnen sicherlich von den vollbesetzten Fluechtlingsbooten in Erinnerung, die in der Meerenge am Golf von Aden schippern. Kleine Barkassen, denen Sprit und Trinkwasser ausgegangen waren, ueberbesetzt mit hungernden Menschen.
"Natuerlich helfen wir dann, auf See hat das oberste Prioritaet", sagt Duerr. Meist unterstuetzen sie medizinisch, geben Wasser und Benzin oder schleppen das Boot in die Naehe des naechsten Hafens. Ob es sich um Menschenhaendler oder ein Boot voller Fluechtlinge handele, sei dabei egal. "Save our Souls ist dann das, was wir machen", sagt der Kompaniechef. Als Sanitaeterin ist auch Nicole H. in solchen Situationen nah dabei: entschlossen, ernst und hilfsbereit.
Posted by jaz at 19.02.09 11:58