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14.01.09
Neuschnee auf Zedern
Wenn Partygaenger und Pistenrowdys aufeinandertreffen: Was man beim Skifahren im Libanon alles erleben kann -
Erschienen in "Kulturaustausch" 1/09
Durch die gro§en Fenster faellt der Blick auf ein strahlendes Bergpanorama. Im rustikal eingerichteten Fruehstueckssaal erwartet den Gast ein geschmackvoll arrangiertes Buffet, an den Tischen feines Silbergeschirr . ein Szenario wie aus einer Luxusherberge in den franzoesischen Alpen. Doch wir befinden uns im 5-Sterne-Hotel Intercontinental in Libanons beliebtestem Skigebiet, Faraya Mzaar. Auffallend anders als in Europa: die vielen Kinder an den Tischen. Ganze Gro§familien entfliehen der Hektik der Hauptstadt Beirut, dem Laerm und dem Smog. Doch nur selten sieht man, wie eine Mutter sich selbst um ihre Kleinen kuemmert . meist uebernehmen dies die mitgenommenen Dienstmaedchen. Manchmal allerdings hoert man "Antoine, leave this!" oder "Nancy, stop it!", gezischt mit franzoesischem Akzent. Es gilt als weltoffen und modern, seinen Kindern internationale Namen zu geben und mit ihnen in der …ffentlichkeit Englisch zu sprechen.
Drau§en glitzert der Neuschnee im Sonnenschein. Sanfte Huegellandschaften, moderne Doppelmayr-Seilbahnen und ein ungetruebter, strahlend blauer Himmel begrue§en den Wintersportler im Libanongebirge. Sechs Skigebiete gibt es derzeit dort, darunter das malerisch zwischen Zedernhainen gelegene Cedars, das exklusive Faqra, das familienfreundliche Laqlouq und das vor allem bei Langlaeufern beliebte Qanat Bakish. Ein weiteres Skigebiet ist in Planung: Sannine Zenith soll mit 59 Pisten das groe§te Wintersportareal des Landes werden. Faraya Mzaar gilt als das exklusivste und mondaenste aller libanesischen Skigebiete. Von Dezember bis April ist dieses Resort schnee- und sonnensicher und im Gegensatz zu den alpinen Skigebieten Europas nur Sonntag nachmittags ansatzweise ueberlaufen.
Auf bis zu 2.465 Hoehenmetern laden Tiefschnee und gepflegte Pisten aller Schwierigkeitsgrade zum Skivergnuegen ein. Allein in der Region Kesrouane, rund eine Stunde Autofahrt von der Hauptstadt entfernt, gibt es 18 Haenge und insgesamt 80 Kilometer Pisten zu erkunden. Das Tourismusministerium wirbt immer noch mit dem Slogan aus der Zeit vor dem Buergerkrieg, als der Libanon noch als die "Schweiz des Nahen Ostens" galt und Beirut als das "Paris des Orients", eine glamouroese Stadt, die internationale Weltstars magisch anzog: "Das einzige Land, in dem man morgens skifahren und mittags auf dem Mittelmeer Wasserski fahren kann". Wer dies aber tatsaechlich tun moechte, muss eine Stunde mit dem Auto ans Meer fahren . in jedem Fall ist waehrend der Wintermonate ein Neoprenanzug dringend empfohlen, denn die Temperatur des Mittelmeeres steigt erst Ende Mai wieder ueber zwanzig Grad.
Der Krieg gegen Israel im Jahr 2006 sorgte fuer einen gro§en Einbruch bei den Urlauberzahlen im Libanon. Jetzt waechst der Tourismus wieder, wenn auch langsam. Von den rund drei Millionen Touristen, die nach offiziellen Zahlen das kleine Land am oestlichen Mittelmeer 2008 besuchten, kamen viele nicht, um Urlaub zu machen. Es handelte sich um Libanesen, die in der zweiten oder dritten Generation im Ausland leben und die Familie in der Heimat besuchten, sowie Geschaeftsreisende aus den Golfstaaten.
Zehn Prozent der Tourismuseinkuenfte werden laut dem zustaendigen Ministerium durch den Skitourismus erwirtschaftet. Wintersport ist allerdings nur ein kleiner Teil des Wochenendvergnuegens der wohlhabenden Libanesen in den Wintersportgebieten. Viele der Gaeste scheinen eher nach Faraya Mzaar zu reisen, um zu sehen und gesehen zu werden. Das ist in dem Skiresort nicht anders als in St. Moritz, Aspen oder Kitzbuehel. Bei genauerem Hingucken offenbart sich ein guter Teil der Absurditaet der libanesischen Nachkriegsgesellschaft. Es glitzert viel Echtes oder Unechtes, bei der stets figurbetonten Kleidung sind Gold, Pink und andere grelle Farben altersunabhaengig beliebt. Nach dem Motto "Zu sexy und zu sehr gestylt gibt es nicht" verziehen sich die Damen nach dem Fruehstueck in ihre Raeume, um sich fuer das fruehe AprŽs-Ski-Vergnuegen herzurichten, waehrend die "Maids" mit den Kindern spielen und die Vaeter eine Runde im Bogner- oder Aigner-Skianzug wedeln gehen.
Morgens allerdings haben die Damen der Gesellschaft noch kein aufwaendiges Tagesmake-up aufgelegt. Das Fruehstuecksbuffet im 5-Sterne-Hotel ist daher nur spaerlich beleuchtet. Schemenhaft sind die Gaeste, die sich an orientalischen und internationalen Spezialitaeten bedienen, zu erkennen. Nur die Servicemitarbeiter an den Cr?pes- und Kaesetheken haben etwas Licht zum Arbeiten zur Verfuegung. Aber selbst im schummerigen Licht des Buffets tragen einige der betont laessig und sportlich gekleideten Damen gro§e Sonnenbrillen. Nicht wenige erholen sich hier von kleineren und groe§eren chirurgischen Eingriffen, die laengst zum Standard der oberen Zehntausend im Zedernstaat geworden sind. "Die Beleuchtung ist eine Aufmerksamkeit besonders fuer einige der weiblichen Gaeste", fluestert ein Angestellter auf Nachfrage dezent.
Der Aufwand, den die lokale Damenwelt um ihre Schoenheit treibt, wird in der Arabischen Welt zum Teil bewundernd zur Kenntnis genommen, zum Teil auch schon in Comedy-Shows verspottet. Denn in den Nachbarlaendern Palaestina und Syrien beispielsweise haben die Frauen ganz andere Probleme, als den passenden Lippenstift zum franzoesischen Designerschneeanzug zu erwerben.
Doch auch im Libanon ist Skifahren nur ein Vergnuegen fuer eine schmale Oberschicht: Die Preise fuer die †bernachtungen in den Luxusherbergen der Resorts liegen mit rund 300 US-Dollar beim durchschnittlichen Monatsgehalt eines einfachen Arbeiters. Aber die christliche libanesische Bevoelkerung will mit der armen, meist muslimisch-schiitischen Arbeiterklasse ohnehin nicht gemessen werden. Die Christen des Zedernstaates haben sich seit der franzoesischen Mandatszeit (1920-1943) als Teil der Grande Nation gesehen. Sie schicken ihre Kinder auf teure, frankophile Privatschulen und behaupten von sich, phoenizianischen und nicht arabischen Ursprungs zu sein. Sie wollen ihren demokratischen Staat nicht mit den umliegenden arabischen Staaten, den islamischen Koenigreichen und Diktaturen, verglichen wissen. "Es fuehlt sich hier wie Europa an, oder?", wird man als Europaeer oft gefragt. Doch nur die offiziell rund 40 Prozent der Einwohner, die christlichen Religionsgemeinschaften angehoeren, koennen das von ihren Lebensumstaenden behaupten.
Der Libanon steht ein wenig neben all den Klischees und Entwicklungen, die im Vorderen Orient anwendbar und zu beobachten sind. Die Menschen hier kreieren ihre ganz eigenen, religioes und materialistisch gepraegten Lebensrealitaeten. Auf hohem Niveau, und auf Kosten der "anderen". Die "anderen" sind die schiitischen Arbeiter und die Gastarbeiterinnen aus Entwicklungslaendern wie €thiopien, Sri Lanka und den Philippinen . die aehnlich wie in anderen arabischen Laendern die unliebsamen Arbeiten erledigen.
Das Leben vieler Hausangestellten allerdings hat mit christlicher Naechstenliebe nicht viel gemein. Denn nicht unbedingt werden alle Hausangestellten mit auf Wochenendausfluege genommen, sondern sie werden, wie die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in ihrem Ende August 2008 veroeffentlichten Bericht festgestellt hat, in den Wohnungen eingeschlossen. Damit sie nicht weglaufen, nicht stehlen oder Fremde in die Wohnung lassen.
Dieses Verhalten bleibt nicht ohne Folgen: Im Durchschnitt stirbt eine der Angestellten pro Woche bei dem Versuch, ihrem haeuslichen Gefaengnis zu entfliehen. Die haeufigste Todesursache lautet "Selbstmord durch Springen von hohen Gebaeuden", und nur selten wird untersucht, warum sie versucht haben, zu fliehen oder sich umzubringen. Human Rights Watch berichtet zudem von Unterernaehrung, zu langen Arbeitszeiten und Misshandlungen bis hin zu sexueller Gewalt gegen die fast rechtlosen Arbeiterinnen. Da die Arbeitgeber die Paesse des Personals einziehen und die Frauen oft hohe Schulden gegenueber den vermittelnden Agenturen in ihrem Heimatland haben, traut sich kaum eine, ihrem Martyrium zu entfliehen, das oft mit gerade mal umgerechnet 100 US-Dollar im Monat entlohnt wird. Das sind 150 US-Dollar weniger als der aktuelle Mindestlohn im Libanon. Und waehrend die einen ihr karges Einkommen, das oft nicht vollstaendig ausgezahlt wird, sparen und der Familie in die armen Heimatlaender senden, geben ihre Arbeitgeberinnen problemlos Hunderte an einem Freitagnachmittag fuer den Friseur und die passende Manikuere zum Skikostuem aus.
Aktiv auf der Skipiste sieht man die Damen der Gesellschaft selten. Dafuer amuesieren sie sich schon mittags beim AprŽs-Ski. Importierter Champagner und lokaler RosŽ wird hier zu ohrenbetaeubender europaeischer Techno-Musik kredenzt, und nach Sonnenuntergang stehen die Parties denen in exklusiven europaeischen Skiresorts in nichts nach. Auffallend sind vielleicht die vielen "Bikini-Modenschauen", mit denen die Discos in den Bergen, im christlichen Kernland, ihre Gaeste zu locken suchen. Und auf den Pisten ticken die Uhren ein wenig anders: Der europaeische Skifahrer muss sich an den lokalen Fahrstil gewoehnen, er ist an den anarchischen Autoverkehr angelehnt. Wenn Pisten aufeinandertreffen, so nimmt man sich besser vor ruecksichtslosen Rasern in Acht. Eine Pistenwacht, die die angetrunkenen Herren zur Raeson rufen koennte, gibt es noch nicht.
Manchmal sieht man auch komplett verschleierte muslimische Frauen, Touristinnen aus den Saudi-Arabien oder den Emiraten, die am Rande der Pisten auf ihre Ehemaenner warten und auch muslimisch beten, waehrend direkt nebenan dem Alkohol gefroent wird.
Doch der Libanon waere nicht das Land mit den staerksten Kontrasten im Nahen Osten, wenn es nicht auch einen Gegenentwurf zum winterlichen Show-Alltag gaebe. So findet man beispielsweise im kleinen …rtchen Qanat Bakiche, in dem es viele antike Schreine fuer den Gott des Weines Bacchus gibt, ein durchaus ernsthaft sportbegeistertes Publikum. Hier werden die Pisten nie zu voll, und das einzige Hotel des …rtchens bietet gemuetliche Doppelzimmer fuer nur 75 Dollar an. Auf bis zu 2.250 Hoehenmetern kann man hier die Ruhe, Einsamkeit und Abgeschiedenheit genie§en, die man nicht nur in den anderen libanesischen, sondern auch in den europaeischen Skigebieten laengst vermisst.
Posted by jaz at 14.01.09 23:42