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8.06.08
Bestandsaufnahme Malediven
Tropenregen prasselt auf nicht einmal ansatzweise dichte Wellblechdaecher. Von Sonnenauf - bis Sonnenaufgang peitscht Wind unermuedlich warme, dicke Tropfen in alle Ritzen der slumartigen Behausungen von Male'. Alles ertrinkt, denn...
von Juni bis September verwandelt der Monsun die Hauptinsel eines der exklusivsten Reiseziele der Welt stunden- oder auch tageweise in eine dampfende Tropenhoelle aus Beton und Abwasser. Dicker grauer Schleier legt sich ueber die in froehlich gemeinten Pastellfarben bemalten unverputzten Fassaden der achtstoeckigen, Betonkaesten im Tauchertraum-Land. Im vergangenen Jahr verbrachten ueber 70 000 Deutsche ihre schoenste Zeit des Jahres auf den Nachbarinseln, ab tausend Euro inklusive Flug die Woche, pauschal.
Unter einem ueppigen, mit Frangipani und Bougainvillea dekoriertem Mittagsbuffet kann sich hier, wo nachts die machetenschwingenden Gangs "Bosnia" und "Petrol", um die Hohheit im Heroinverkauf kaempfen, nicht einmal etwas vorstellen.
Ein Drittel der Bevoelkerung teilt sich den engen Lebensraum des gerade einmal zwei Quadratkilometer kleinen Wirtschaftszentrums der Wasserrepublik. Viele, wenn nicht die meisten Male'er schlafen umschichtig in ihren aermlichen Huetten. Ein enger Gang zwischen den hohen Gebaeuden, schiefe Tueren, kleine Raeume mit niedrigen Decken, denn der aus Sperrmuell oder Wellblech gefertigte Haengeboden muss, ebenso wie der Lehmfu§boden, dienen um zwanzig oder mehr Menschen auf fuenfzehn Quadratmetern unterzubringen.
Ungenie§bares Wasser troepfelt in den fensterlosen Loechern im Revier von Bosnia aus improvisierten Leitungen. Nichts erinnert hier an Palmen, wei§e Korallensandstraende, die niedlichen verspielten Babyrochen und die kleinen, harmlosen Wei§spitzenriffhaie, die auf den anderen der rund 1190 Inseln schon im flachen Wasser des begeisterten Schnorchlers um die Fue§e flitzen. Auf Male' gibt es nur einen kleinen kuenstlichen Strand, aber vier Abwasserkanaele in allen Himmelsrichtungen, die die Kloake ungeklaert in den Ozean transportieren.
Die Malediven sind zurecht eine Traumdestination auf der touristischen Landkarte, sofern der Reisende, wie in so vielen armen Laendern, den vom Reiseveranstalter huebsch mit alkoholischen Getraenken und Tropenblumen arrangierten Pfad keinen Deut verlaesst. Alkohol ist fuer die einheimischen sunnitischen Muslime nicht nur per Koran, auch per Gesetz und unter Strafe verboten zu genie§en. †ber Haschisch, Heroin und Klebstoffdampf steht nichts im dritten heiligen Buch geschrieben, zu spaet erkannte der dienstaelteste Praesident Suedostasiens, Maumoon Abdul Gayoom, bekannt fuer Brutalitaet und die Verletzung von Menschenrechten, dass Drogenaufklaerung haette schuetzen koennen. Nun haben nach Schaetzung des ersten ehrenamtlichen Streetworkers von Male'rund 90 Prozent der Jugendlichen Drogenprobleme, mit denen niemand umzugehen wei§. Zu jung noch ist die neue Taktik "Aufklaerung statt Strafe", die internationale NGOs nun endlich forcieren.
Traditionell wird Trinkwasser auf den Koralleninseln aus Regen gewonnen. Daran ist hier, in der Hauptstadt, auf der Insel Male', deren Schicksal ist, gro§ und zentral im immer warmen Indopazifik voller traumschoener Atolle gelegen zu sein nicht zu denken. Der Wind bringt giftige Gase von der Nachbarinsel Thila Fushi, Umweltorganisationen sprechen von einer "toxischen Bombe im indischen Ozean", eine Insel, geopfert der unkontrollierten, permanenten, ungefilterten Muellverbrennung. †ber 700 000 reiche, anspruchsvolle Gaeste, bei forciert steigender Tendenz jaehrlich zu verwoehnen, hat seinen Preis. 90 Prozent der Tourismuseinkuenfte gehen an den Staat, also an die Diktatorenfamilie, die nicht an viele umverteilt.
Unlaengst hat der Minister fuer Atollentwicklung elf Inseln als Baugrund fuer weitere Luxus-Urlaubresorts freigegeben, Zusaetzlich zu den 33 ohnehin im Bau befindlichen. 87 gibt es bereits. Bald wird die Schiffswerft auf der Muelldeponie-Insel Thila Fushi noch groe§eren brennenden Allesmuellfeldern weichen muessen, ein Glueck fuer die trotz Vermummung schwer hustenden und spuckenden Werftarbeiter, sie werden auf einer anderen unbewohnten Insel arbeiten muessen. Ein Pech aber fuer alle Nachbarinseln, es sind ueber ein Dutzend edle Resorts z.B. der exklusiven Universal-Kette darunter. Wenn der Staat sich nicht um saubere Atemluft fuer seine Buerger und Gaeste sorgt, sollten es internationale Tourismuskonzerne tun? Fragt ein Gast, was denn dort am Horizont, zehn Bootsminuten vom Resort Bandos, das sich im Besitz des Ministers von Jugend und Sport befindet, so seltsam gelblich rauche, erhaelt er die Antwort: "Oh, they're just burning rubbish."
Unverstaendlich, denn traditionell liebt die friedfertige Kultur der Malediven die Natur, Fischfang mit Netzen ist verboten, die Kuestenwache ist staendig im Einsatz, um vor allem japanische und chinesische Schleppnetz-Trawler abzuwehren. Fisch wird ausschlie§lich geangelt, hauptsaechlich gro§e 50-Kilo-Gelbflossentunfische und silberne Schwarmfische wie Makrelen, die sich dem Taucher oft als massiv wirkende, silbern glitzernde Wand in den Weg stellen, bevor sie blitzschnell in aquadynamischen Formationen auseinanderzischen und wieder zueinander finden.
Wer traegt die Verantwortung fuer fehlgeleitetete Entwicklungen, in einem kleinen islamischen Land, das sich erst 1972 dem Tourismus oeffnete? In dem der Reisende heute noch von Kinder auf Inseln der Einheimischen, die ohne Fernsehapparate leben, gefragt wird, ob er aus Germany Island kaeme, da die Vorstellung, dass Staaten nicht aus Inseln, so fernab der Ur-Vorstellung dieses stolzen Seefahrer- und Apnoetauchervolkes liegt?
100 000 der 340 000 Menschen zaehlenden Bevoelkerung der Malediven leben auf engstem Raum, der Gro§teil von weniger als einem Dollar pro Tag. Die Millionen Euros und Dollars, welche die Touristenschar, deren Anzahl anhand der Erschlie§ung des chinesischen und indischen Marktes schon bald ueber eine Million Gaeste pro Jahr betragen soll, sickern nicht nach unten. Dieser Missstand ist eines der Hauptargumente fuer freie Wahlen, wie der Praesidentschaftskandidat der 2004 gegruendeten Maldivian Democratic Party (MDP), Anni`, erklaert. Doch zunaechst mu§ der Diktator eine neue Verfassung verabschieden, die demokratische Wahlen zulaesst. Damit Gayoom seine Macht bei den im Oktober oder November oder wieder um ein Jahr verschobenen Wahlen halten kann, lae§t er seine maennlichen Verwandten bereits jetzt Parteien bilden, um die jungen Buerger der - dann - einzigen demokratischen islamischen Republik der Welt zu Verwirren, um nur sich selbst die Opposition zu stellen.
Malediven, im Monsun: ein fast schon preiswertes Urlaubsvergnuegen, ohne Sonnenscheingarantie wie zur Hauptsaison in unserem Herbst und Winter, fuer Schnorchler aber ein Geschenk: wenn der warme Regen auf den Ozean prasselt, bricht die Wasseroberflaeche. So dringen die Strahlen des Lichtes tiefer ins Meer, sie lassen die Farben der unzaehligen quietschebunten Fische, die Geschlecht und Farbe je nach Alter aendern, nahezu fluoreszieren.
In Male leuchtet nichts, es funzeln hoechstens nackte Gluehlampen in katastrophalen Kaschemmen, in denen Babies neben schwindenden Urgro§eltern von drogensuechtigen Eltern geboren werden.
"Utopia" nennen die Einheimischen die luxurioesen, perfekt von internationalen Hotelkonzernen gemanagten kuenstlichen Inselparadiese, auf denen Rind aus Argentinien, Bier, Schwein, Tomaten aus Holland und Champagner aus den besten Lagen von Angestellten, viele davon aus Bangladesch, Sri Lanka und Indien serviert wird. Trotz des Gesetzes, welches verfuegt, dass mindestens die Haelfte der Resortangestellten maledivischen Ursprungs sein muss, ist es fuer die Human-Resources-Manager der Resortinseln nicht einfach, diese Quote zu erfuellen. Junge Malediver, Mitglieder (Buerger?) des Commonwealth, absolvieren bis auf wenige mindestens ihre O-, aber auch A-Levels, unserem Realschul- oder Gymnasialabschluss gleichkommend.
Das seit den Achtziger Jahren aus Indien gebrachte Heroin wirkt leider dagegen. Trotzdem: Alle sprechen flie§end Englisch, die meisten Nicht-Male'er sind begeisterte Schwimmer und Schnorchler, auch die Frauen, die, islamisch korrekt, ihre Wasservergnuegen in langen Kleidern mit Kopftuch genie§en. Die Digitalkultur der Globalisierung ist auch auf den Malediven laengst angekommen, Gymnasiasten spielen Ballerspiele im Internet und chatten online. Bald soll die erste Universitaet gegruendet werden, es gibt viele weiterfuehrende Schulen, Stipendien fuer indische und britische Universitaeten werden vergeben. Flaechendeckende Wifi-Internetverbindungen gibt es nicht nur im tropisch-paradiesischen Utopia, sondern auch in Bosnia. Karrieren dank Internet-Fernstudium sind mittlerweile ganz normal.
Viele erkennen nicht die Notwendigkeit, reichen Auslaendern fuer einhundert bis einhundertfuenfig US-Dollar im Monat dienstbar zur Verfuegung zu stehen, oftmals ohne Trinkgeld zu bekommen, denn das geben Pauschaltouristen eher selten, und wenn, dann nur wenig, wie Mohammed auf der Neckermann- und Thomas Cook-Insel Velidhu im Ari-Atoll erklaert. Ein Bengale, der zu diesem Hungerlohn bei seinem Agenten in Bangladesch alleine fuer die Jobvermittlung oft ueber 3000 Dollar abarbeiten muss, kann sich nicht mal eben fuenf Dollar fuer 15 Minuten Internet leisten um ohne Sprachkenntnisse einen neuen Job zu finden. Die Malediver sind besser dran:
Sie sehen nicht ein, dass ein auslaendischer Manager ihnen Schwimmen, Schnorcheln und Angeln in ihrem eigenen, zu 99 Prozent aus fischreichem Ozean bestehenden Land verbieten kann. Die Soehne der Atolle stattdessen ihre Freizeit in schaebigen, ueberbelegten Kaschemmen mit unbefestigten Boeden, den "Staff Areas", verbringen muessen, um das Image der Malediven, muehsam aufgebaut und aufrechterhalten durch viele flei§ig international agierende PR-Helferlein, nicht zu zerstoeren. Dass manche Resorts drei bis vier Angestellte pro Doppelzimmer beschaeftigen, der Urlauber mu§ verwoehnt werden; er soll sich nicht wundern, wo diese ganzen vielen armen Menschen aus den Nachbarstaaten ploetzlich herkommen, was suchen diese auf einer 5-Sterne-Insel? Das Urlaubsparadies kann keinen Reality-Check vertragen. Kein Tourist soll im Inselinneren das Abbild der Slums von MalŽ finden, dabei geben selbst ehemalige Hilton-Hotelangestellte zu, waehrend der Arbeit Heroin zu geraucht zu haben, sonst haetten sie ihre eigene erbaermliche Realitaet kaum aushalten koennen.
Die MDP verspricht, alles zu aendern.
Doch der Wahlsieg der Demokraten ist mehr als fraglich, ebenso wie der Tag der Verabschiedung der neuen Konstitution, ebenso wie der Tag der ersten demokratischen und hoffentlich freien Wahlen in einem der schoensten Tauchreviere der Welt.
Doch durch Einschuechterung der Inselhaeuptlinge, durch ihr Erzwungenes Einschwoeren auf die Diktatorenlinie, zweifelt die Opposition an ihrem Wahlsieg.
Nur im Internet wird frei geschrieben, Sappe', Freund von Anni`, lebt im britischen Exil und erhaelt Schutz durch Scotland Yard, nachdem er Morddrohungen durch die Ehefrau des Polizeipraesidenten per Email erhielt. Die Polizei identifizierte den Server, ueber den die Drohung lief, die Dame wurde verwarnt. Sappe'ist der Herausgeber der ersten freien maledivischen Tageszeitung des "Dhivehi Observers", auf den Inseln ist sie natuerlich gesperrt, aber Sappe'hat weltweit Helfer, die seine Seite auf ihren Servern spiegeln.
Wer durch zahlreiche kostspielige Entertainment-Angebote wie kulinarisch hochwertige Champagner-Picknicke auf einsamen Inseln mit privatem Wasserflugzeugtransfer, Hochseefischen und der mehrere tausend Euro teuren Durchfuehrung einer indopazifischen Phantasie-Hochzeitszeremonie zur Kasse gebeten wird, soll nicht erkennen, was die quirligen einheimischen Twens Donko', Mudo', Amitab und Ziad auf einer Neckermanninsel zu Protokoll gaben:
"Wir koennen viel ertragen. Jeden Tag Gaeste mit Speisen zu bedienen, von denen wir keine Reste, nicht einmal eine einzige Banane aus unserem Land, essen duerfen, koennen wir verkraften. Wir koennen uns auch das Schwimmen und Fischen verbieten lassen, schlie§lich werden wir hier nicht ewig auf "Prison Island" in unserer Staff Area hocken muessen. Aber dass wir bei den vielen Stunden, die wir beim Servieren rennen und stehen muessen, nur auf zerfetzten Matratzen schlafen muessen und trotz wochenlanger Beschwerden keine neuen bekommen? Eine Nacht im Wasserbungalows kostet soviel wie 10 Matratzen fuer uns. Warum der Sri Lankesische Chef unsere Klagen ueber die Rueckenschmerzen nicht erhoert, das verstehen wir nicht. Nun hauen wir einfach alle ab!" sagt Ziad im Namen der Gruppe und kichert schadenfroh.
Durch Freunde auf ihren Heimatinseln erhielten sie vorletzte Woche die Nachricht, dass ein neues Resort, Kandooma, im Sued-Male-Atoll neue Mitarbeiter braucht, per SMS baten sie ihre Brueder in der Wifi-Area von Male'-Bosnia, Bewerbungen zu schreiben. Denn nicht auf allen Inseln sind die Lebensbedingungen schrecklich, Kandooma beispielsweise bietet Schulungen, Aufstiegschancen, Urlaubsgehaelter, Freizeit und Schwimmspass auf der Insel, wie so viele andere Resorts und Hotels der Four Seasons-Kette, wenigstens die Inhaber, zwei der reichsten Maenner der Welt, haben verstanden, dass radikale Ausbeutung zu schlechtem Service fuehrt. Andere Resorts verfolgen ebenfalls diese Policy, doch je billiger die Pauschalreise, desto schlechter die Lebensbedingungen der Angestellten.
Doch auch ohne einen neuen festen Job in Aussicht verlassen die Locals oft bei Nacht und Nebel ihre schrecklichen Chefs, gebackupt vom schrecklichen folternden Regime, welches die Inseln meistbietend fuer jeweils drei§ig Jahre an den meistbietenden Konzern verpachtet.
Die jungen Maenner steigen, so wie es die Seefahrernation seit Jahrhunderten praktiziert, einfach auf ein Dhoni, auf dem Steg, der ihnen zu betreten verboten ist. Dann segeln sie ueber den tuerkisen Traum der indopazifischen Welt der Atolle, der Sandbaenke und der in den Himmel ragenden Korallenstoecke auf ihre Heimatinsel und in die Freiheit zurueck.
Posted by jaz at 8.06.08 3:24