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9.02.08
"Sonst muesste ich Menschen toeten"
Istanbul - Irrwitzige Riffs, mit wilder Handkamera gedreht: Der Film "Heavy Metal in Bagdad" portraetiert eine Band aus irakischen Kriegsfluechtlingen im Exil. Die Doku feiert heute auf der Berlinale Filmpremiere - Einreisen durften die Musiker allerdings nicht.
spiegel.de vom 09.02.2008
arwan, 24, Drummer der irakischen Heavy-Metal-Band "Acrassicauda", traeumt nicht davon, mit seinen Kollegen ueber den roten Teppich der Berlinale zu schreiten. Die Traeume und Probleme der Protagonisten des Berlinale-Dokumentarfilms "Heavy Metal in Bagdad", sind andere, sie haben die normalen Probleme irakischer Kriegsfluechtlinge in der Tuerkei. Ohne Arbeitserlaubnis oder staatliche Unterstuetzung, ohne Krankenversicherung, ohne festen Wohnsitz und fast ohne Geld versuchen die vier Mittzwanziger Tony Aziz, 29, Firas Al-Latif, 26, Faisal Talal, 25, und Marwan Reyad ihr Leben im Exil im Istanbul zu meistern.
Der 2006 mit wilder Handkamera unter Leitung von Spike Jonze ("Jackass") gedrehte Film begleitet die Band im Post-Saddam-Irak und in ihrem frueheren Exil in Damaskus, wo es gelingt, die erste irakische Heavy-Metal-CD aufzunehmen. Er zeigt die Musiker bei dem Versuch, ihren Jugendtraum trotz widrigster Umstaende weiter zu leben.
Das Dramatische, Beruehrende an "Heavy Metal in Bagdad" sind nicht die unter filmischen Gesichtspunkten schlechten Bilder, die oft so verwackelt sind, dass MTV-ungeuebten Zuschauern schwindlig wird. Es ist der gelungene Ansatz der Regisseure Eddy Moretti und Suroosh Alvi, einer ganzen Generation von jungen, desillusionierten Irakern eine Stimme zu verleihen.
Die Band durfte nicht zur Berlinale einreisen
Doch in Berlin tatsaechlich fuer ihre Generation zu sprechen, bleibt ihnen verwehrt. Obwohl die Festivalleitung die Band offiziell einlud und sich fuer Visa einsetzte, wurden diese nicht erteilt. Denn die Paesse dreier Bandmitglieder stammen aus der "S-Serie", die die irakischen Behoerden ab 2004 ausstellten und die seit April 2007 von der Bundesrepublik nicht mehr anerkannt werden, da sie als nicht faelschungssicher gelten.
Dass die findigen Trendsetter Eddy Moretti und Suroosh Alvi vom hippen New Yorker Medienkonglomerat des "Vice"-Magazins, die "Acrassicauda" 2005 fuer sich entdeckten, nun mit dem Film ueber die Bandgeschichte auf der Berlinale fuer Rummel sorgen, beruehrt die Musiker kaum. Sie wollen weder Ruhm und Ehre noch vor TV-Kameras stehen, sie wollen nur weiter ihren Traum verfolgen: Heavy Metal spielen. Fuer immer. In den Irak zurueckkehren, ihre Familien nach zwei Jahren auf der Flucht wiedersehen - diese Traeume gestatten sie sich nicht, ebensowenig wie den von einem fuer sie in Europa ausgerollten roten Teppich.
Heavy Metal zu leben, gestaltet sich auch in Istanbul nicht einfach, denn die Miete eines Proberaumes kostet rund neun Euro. Geld, das die Band nicht hat. Und wenn sie es haette, dann wuerden die Freunde Brot und Obst kaufen und fuer die dringend benoetigte Herzoperation der Ehefrau des Bassisten Firas zusammenlegen. Das Schicksal der 26-jaehrigen Fatima, Mutter eines anderthalbjaehrigen Sohnes, bewegt die Rocker mehr als die Einreiseverweigerung.
"Waehrend des Kriegs schliefen wir im Proberaum"
"Heavy Metal hilft, mental zumindest, sonst muesste ich Menschen toeten um zurechtzukommen", erklaert Marwan, der im Irak Bildhauerei studierte und seine Drums nun in Ermangelung von †bungsmoeglichkeiten nicht spielen kann. Der Autodidakt bastelte sich Drum-Pads, auf denen er taeglich leise trommelt, denn um ein Tempo von bis zu 350 Beats pro Minute halten zu koennen, muss permanent geuebt werden.
"Im Irak standen wir oft zwoelf Stunden im †bungsraum, gerade im Krieg, wir schliefen dort, unsere Freunde erklaerten uns fuer verrueckt", erzaehlt Tony, der vielleicht schnellste Gitarrist des Zweistromlandes, der einst Arabische Literatur dozierte. Mag Heavy Metal fuer ungeuebte Ohren wie Krach klingen, so muss man doch ausgefeilte Virtuositaet beim Spiel beweisen, denn die Riffs und Rhythmen, die "Acrassicauda" komponieren, sind kompliziert und irrwitzig schnell.
Durch Konzerte, die sie unlaengst in der Tuerkei spielten, kamen einige hundert Euro zusammen, sodass die vier einige Naechte lang in billigen Hotels schlafen konnten und nicht auf die Solidaritaet bessergestellter Landsleute angewiesen waren.
Nun ist "Acrassicauda" wieder mittellos, und auf die Frage, ob sie denn den Abend der Filmpremiere, wie die Regisseure und Produzenten in Berlin, feiern werden, antwortet Marwan mit versteinerter Miene in seinem stark US-amerikanisch gefaerbten Englisch: "Wir sind Fluechtlinge. Wir haben nichts zu feiern."
Posted by jaz at 9.02.08 4:37