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27.01.08
Yemen setzt auf Sicherheit
Goldglitzernd liegt der indische Ozean im Sonnenuntergang. Der Strand besteht aus feinstem Sand voller exotischer Muschelchen und riesiger Sepiakalkschalen aus den Tiefen des hier tauchtouristisch noch fast unerschlossenen tropischen Meeres. Wasser und Lufttemperatur im November, am fruehen Abend: an die 30 Grad. Mit den ersten Sternen draengen sich aus dem Poolbereich des Holiday Inn, dem mondaensten Hotels der kleinen suedostjementischen Hafenstadt Mukalla, laut repetitive suedjemetische Trommelbeats, 130 Schlaege pro Minute. Im Poolbereich des Hotels
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 27.01.2008
wird eine Party mit Buffet und Softdrinks veranstaltet, Alkohol gibt es nur in einem Fuenf-Sterne-Hotel in der Landeshauptstadt. Der syrische Manager tanzt mit den vollverschleierten Taenzerinnen, danach suchen die Frauen Tanzpartner aus der zuschauenden Touristenmenge. In diesem Land, in dem rund 73 Prozent der Frauen Analphabetinnen sind und 98 Prozent ihr Gesicht niemals in der …ffentlichkeit zeigen, geschweige denn Aufmerksamkeit von fremden Maennern suchen, ueberrascht die Darbietung der in schwarze, mit blau-silbernen Pailetten besetzte Tuecher gehuellte Frauen.
Undenkbar in jemenitischer Tradition, in der strikte Geschlechtertrennung ein unumstoe§licher Pfeiler der Gesellschaft ist. Ein Kellner kommentiert das kostuemierte landesuntypische Schauspiel trocken: "Unsere Frauen machen soetwas nicht - da stecken Russinnnen darunter."
Es waere nicht die einzige eigenartige Entwicklung, die der Tourismus hier in einem der aermsten, unterentwickeltsten und konservativsten Laender der arabischen Welt hervorbringt. In Wuestendoerfern laufen kleine Maedchen in Brautkleidern von Tourist zu Tourist und laden auf sechs Sprachen zum Besuch ihres Hauses gegen Bakschisch ein. Schulpflichtige Kinder karren bei jedem Stop eines Touristenkonvois auch der entlegensten …dnis Schubkarren voller Schmuckstuecke zu Pfennigpreisen an. Schmutzig, barfu§, in abgerissenen uebergro§en Jacketts, schon im bodenlangen Kleid, aber noch ohne eigenen Dolch, ohne Hoffnung auf Bildung.Verwachsene Kinder , die sich aufgrund ihrer unbehandelten Knochenkrankheiten und Behinderungen nur auf allen Vieren bewegen koennen, werden in Hoffnung auf Almosen von Familienangehoerigen durch die Stadt getrieben. Die meisten Haeuser des Landes verfuegen nicht ueber funktionierende Wasserleitungen, immerhin haben fast 70 Prozent der Bevoelkerung ueberhaupt Zugang zu Trinkwasser. In der Altstadt der Hauptstadt Sana'a, ganz aus Lehm im Zuckerhaeuschenstil erbaut, gibt es in manchen Ecken mehr Ziegen und Esel als Autos. Maenner im Quat-Rausch hocken mit glasigen Augen auf den Stra§en. Wahrlich: Ein Besuch im Jahre 1428, das nach islamischer Zeitrechnung hier im Weltkulturerbe herrscht. Einzige Oasen der Moderne in der Zeitreise: die wenigen internationalen Luxushotels, in denen die organisierten Reisegruppen, meist aeltere gutsituierte Deutsche, Franzosen und Italiener, absteigen.
"Jemen is Safe", das Motto, das der Tourismusminister fuer die aktuelle Saison verkuendet, kann individuell verschieden wahrgenommen werden. Jedes der gro§en Hotels hat Metalldetektoren an den Pforten, manches sogar Wagen- und Unterbodenkontrollen. Dem Image des Jemen, ein Hort fuer Al-Quaeda zu sein, soll energisch entgegengetreten werden. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht die Bemuehungen der Regierung und der Amerikaner im Anti-Terror-Kampf in der lokalen Presse gepriesen werden. Gefahr durch Kriminalitaet besteht kaum, die Strafen hier im gefuehlten Ur-Orient sind drakonisch, wer stiehlt, riskiert die rechte Hand. Dann und wann entfuehren Stammesmitglieder Reisende, meist, um infrastrukturelleVerbesserungen von der Regierung zu erpressen. Selten kamen dabei die Opfer zu physischem Schaden. Doch seit dem letzten Anschlag, fuer den die Regierung Al-Quaeda verantwortlicht macht, ist die Lage gespannter: Die archaeologisch bedeutende Region um Marib, in der bei einem Attentat im vergangenen Sommer sieben Spanier durch einen Autobombe starben, ist derzeit bei keinem Reiseveranstalter im Programm. Dabei wurde gerade hier unter Mithilfe der deutschen Gesellschaft fuer Technische Zusammenarbeit im vergangenen Jahr das Pilotprojekt gestartet, Stammenssoehne zu Fremdenfuehrern auszubilden, die nachhaltigen und sicheren Tourismus praktizieren sollten. Nun ist der Bezirk militaerisch isoliert, genau wie die Regionen Marran und Haydan im Gouvernat der Hauptstadt Sana'a, wo sich Kaempfer der fundamentalistischen Gruppe "Glaeubige Jugend" zurueckgezogen haben. Die Regierung gibt an, die Lage im Griff zu haben. Mit gewaltbereiten inhaftierten Fundamentalisten betreibt sie die Politik des "Umdenkens durch Dialog"; hochrrangige religioese Gelehrte, sprechen mit Gotteskriegern und predigen gegen den bewaffneten Kampf.
Yemen is safe? Wer sich die architektonische und landschaftliche Schoenheit des Jemen, ihre Vielfalt zwischen Lehmbaukunst, Wuesten- Canyon- und jahrtausendealten Kulturlandschaften genie§en moechte, sollte allein aufgrund der Stra§enverhaeltnisse und Fahrerkuenste . ein Fuehrerschein mu§ hier einfach nur beantragt werden . nicht zu den schreckhaftesten Naturen zaehlen.
Ein wenig Lust am Abenteuer ist bei einem Trip an das suedliche Ende der arabischen Halbinsel kein schlechter Begleiter. Wer sich als europaeischer Reisender in die Obhut eines deutschen oder lokalen Reiseveranstalters begibt, kann sich zumindest so sicher fuehlen, wie es in einem Land geht, in dem bei Inlandsfluegen verschleierte Menschen nicht anhand ihres Pa§fotos kontrolliert werden. Meist auch nicht abgetastet. Die Gepaeckkontrolleure betrachten eher die Silhouetten und Oberarme der westlichen Frauen in beiger Wuestenreisemonitur als ihre schwarz-wei§-Roentgenmonitore. Die jemenitischen Maenner muessen ihre Krummdolche vor Betreten des Flugzeuges abgeben oder sie im Handgepaeck verstauen. Die im Land zur Steigerung der Sicherheit verbreiteten Checkpoints, die die Reisegruppen registrieren, erledigen ihre Arbeiten eher lustlos als engagiert, der dicke Batzen der Volksdroge Quat in der Backe gehoert auch bei den Militaers zum Alltag. Sie gehoert zu den die Entwicklung am staerksten hemmenden Faktoren im Jemen, denn ueber 70 Prozent der maennlichen Bevoelkerung geben sich taeglich ab 14 Uhr dem gepflegten Rausch hin.
Doch abgesehen von allen Sicherheitsbedenken, die in arabischer Denkweise unter Nasib, ohnehin von Allah geschriebenes Schicksal, fallen, gibt es im Koenigreich von Saaba auch noch unendlich viel des duftenden Orients entlang der Weihrauchstra§e zu erkunden. Ein orientalistischer Traum, freitagsmorgens durch die Altstadt Sana`as zu streifen, vorbei an den Gewuerzhaendlern und Kesselflickern, um dann die Maenner aller Altersgruppen mit schwingenden Krummdolchen tanzen zu sehen, bevor sie in die Moschee gehen und danach dem Quat-Genu§ froehnen.
Nachmittags sind auch Frauen auf den Maerkten zu sehen. Alle tragen schwarze Schleier, manche begrue§en Auslaenderinnen, in einfachem Englisch, fragen nach dem Namen, kichern, schuetteln Haende durch Polyestherhandschuhe in der Gluthitze. Glaubt man einer nicht-repraesentativen Stra§enumfrage, so wollen sie gar nicht so nackt wie die europaeischen Kulturtouristinnen durch fremde Laender reisen, sie sind gluecklich, dass sie sich durch den Umhang vor den Blicken der Maenner schuetzen, die Ehre ihrer Familie bewahren und zum Glueck jemenitisch und nicht touristisch sind.
Da der Jemen touristisch nur schlecht erschlossen ist und die Deutsche Botschaft von . ohnehin muehsam und nur mit Arabischkenntnissen selbst zu organisierenden . Individualreisen abraet, stauen sich die Jeeps der organisierten Kulturtouristen zu Sonnenuntergang rings um einzelne Ausflugsziele. In Shibam, der im 2. Jahrhundert vor Christus gegruendeten Siedlung stehen sie sich beim Fotografieren des Stadtpanoramas vom nahe gelegenen Huegel aus gruppenweise im Bild.
Die alten Jemeniten auf dem kleinen Platz innerhalb Stadtmauer, bei Tee und vielen Zigaretten, interessiert das nicht. Quat waechst nur in den Hochlagen, hier ist Flachland, kaum einer kaut es hier, es ist zu teuer. Die Maenner hocken auf ebener Erde, spielen Domino und nehmen die Touristengrupppen nur am Rande wahr. Ganz anders die Kinder, die laengst verstanden haben, wie europaeische Herzen zu erweichen sind: "Qalam", "Stift" rufen sie, schauen aus gro§en braunen Augen, strecken die schmutzigen Haendchen aus und hoffen auf ein kleines Geschenk aus einer anderen Welt. Denn die hiesige bietet . au§er dem Leben in einem unbestreitbar beeindruckenden UNESCO-Weltkulturerbe, von der GTZ restauriert, auf einem inselartig erhoehten Plateau, in bis zu 500 Jahre alten, bis zu neunstoeckigen Lehmziegelhaeusern, nicht viel von den Errungenschaften der Neuzeit. Es gibt nur wenige kleine Geschaefte fuer Konsumwaren und einige minimalistische Touristenshops, in denen Webwaren und vermeintliche Antiquitaeten feil geboten werden. Ziegen fressen Muell auf den Stra§en.
"Was sollen wir denken, wenn die Touristen weg sind? Dass wieder ein Tag vergangen ist und, so Gott will, Morgen ein neuer kommen wird!"
lacht der alte, fast zahnlose Mann auf dem Platz hinter dem Stadttor zu Shibam, dem jahrhunderteaalten Staedtchen im Hadramaut, der wilden Canyonlandschaft im Suedosten des Jemen. Die Sonne senkt sich, und die Rot-, Ocker- und Brauntoene der Lehmbauten strahlen intensiv. Fuer den europaeischen Reisenden mit der positiv-orientalistisch gepraegten Grundeinstellung ist hier alles malerisch, maerchenhaft. Ur-orientalisch die Silhoutten der Minarette vor den massiven umliegenden Tafelbergen in der Wuestenei, mittelalterlich die bis zu hohen schmalen Gebaeude, die sich innerhalb der engen Stadtmauern aneinanderpressen, die Weite der Landschaft, die Urspruenglichkeit der Erdttoene und auch der Lebensform, die Palmenhaine. Der Muezzin ruft zum Gebet, durch den Lautsprecher, er scheint ein Import aus ferner Zukunft. Es wird noch eine kleine Ewigkeit dauern, bis der Jemen im Jahre 2007 ankommt. Moegen die Probleme der Neuzeit ihn auf seiner langsamen Reise dorthin dabei nicht ueberholen.
Posted by jaz at 27.01.08 17:28