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15.09.07
Der Tanz der traurigen Gazellen
Mit unbeholfenen Fingern zupft Rashida die figurformende Miederhose unter dem bodenlangen, hauttengen Kleid zurecht. Die 14-jaehrige Irakerin versucht ihren Babyspeck an die Hueften zu kaschieren. Ihre kleine Schwester Nadya zupft sich neben ihr das ausgestopfte Dekolltee zurecht. Rashida und Nadya, die bis vor kurzem noch Schuelerinnen
mit guten Noten und Kopftuch in Baghdad waren, stehen vor einem fast blinden Spiegel im verdreckten Vorraum der Damentoilette des "Gazelle"-Nachtclubs in einem Vorort der syrischen Hauptstadt Damaskus. Aus dem Tanzraum toent ohrenbetaeubendend die Musik zum traditionellen arabischen Schreittanz, dem Dabka, herein. Rashida hebt ihr hochgeschlitztes Kleid, auf viel zu hohen Schuhen balancierend, um die hautfarbene Stretch-Hose ueber die Taille, bis unter den ausgestopften Push-Up-BH zu ziehen.
Eine besonders schoene Frau wird im arabischen Raum als "Gazelle" bezeichnet, und diese haben lange, elegante Gliedma§en. Zumindest auf den ersten Eindruck moechte sie als eine solche wirken, denn die saudischen Gaeste bleiben nur den Sommer ueber in Syrien, was der nasse, kalte Winter bringen wird, wei§ niemand. Irakische Fluechtlinge bekommen in Syrien keine Arbeitserlaubnis, durch ihre gro§e Anzahl ist selbst der illegale Arbeitsmarkt gesaettigt, viele Familien haben ihre maennlichen Oberhaeupter verloren. Als Tellerwaescher, so man denn einen Job findet, bekommt man 50Cent pro Stunde, oft aber auch gar nichts, da die Iraker praktisch rechtlos sind. Da der syrische Staat ihnen keine weitere Unterstuetzung ausser einem sicheren Platz im Land anbietet, versuchen viele Eltern ihre Maedchen in Clubs wie "Gazelle" arbeiten zu lassen.
Als Gazelle tanzt das Maedchen aus einem guten Baghdader Stadtteil vor zahlungskraeftigen Kunden. Vielleicht erhofft sie sich durch den um zwei Zentimeter reduzierten Hueftumfang, in der figurformende Hose etwas mehr als die ueblichen 500 syrischen Pfund, 7 Euro 20, die eine Nacht mit einem minderjaehrigen Fluechtlingsmaedchen aus dem kriegsgebeutelten Nachbarland derzeit in Damaskus kostet.
Ihre Mutter, in schwarz gekleidet und mit Kopftuch ueber den taettowierten Augenbrauen, sitzt neben der Toilette, beobachtet ihre Toechter und bewacht den Schminkasten der beiden. Sie erklaert energisch, dass sie stolze Leute in Baghdad gewesen seien, bevor der Krieg sie ins Exil und ihre beiden aeltesten Toechter in die Prostitution trieb. Die Miete fuer die Familienwohnung koste rund 440 Euro monatlich, also muesste Rashida 60 Naechte arbeiten, waere sie Alleinverdienerin. Doch zum Glueck arbeitet auch ihre 13-jaehrige Schwester, die ebenso aufwaendig und dunkel wie Rashida geschminkt ist, so dass die Koerper der beiden Teenies, wenn sie denn jede Nacht einen Freier finden, zumindest fuer das Dach ueber dem Kopf der achtkoepfigen Familie sorgen koennten. Doch das Angebot an Sexarbeiterinnen ist mittlwerweile uebergro§, es gibt hunderte solcher Clubs, 30 bis 50 Maedchen pro Club, und nicht jede schafft es jede Nacht, sich zu verkaufen.
Nur ihre hohen Plateauschuhe mit dicker Sohle und viel zu hohen Absaetzen sorgen ueberhaupt dafuer, dass das huebsche, schuechtern wirkende Maedchen sich ueberhaupt im Spiegel betrachten kann. Sie ueberprueft das dicke Make-Up, dass ihre Mutter ihr wie jede Nacht aufgetragen hat, um ihre Pubertaetspickel zu kaschieren. Die Augenbrauen sind geschwaerzt und in der Mitte durch einen Strich verbunden, sie traegt dicken schwarzen Lidstrich, die Lippen sind dunkelbraun gemalt und durch mit kraeftigem Strich schwarz umrahmt, um ihrem Gesicht auf der Buehne mehr Ausdruck zu verleihen. Ihr langes schwarzes Haar ziert ein goldfarbenes Plastikkroenchen, auch die anderen fuenf Maedchen, die sich jetzt in der Toilette zu verstecken zu suchen, sind wie kleine Prinzessinnen aus einem orientalischen Maerchen verkleidet. Alle tragen aufreizend eng und tief dekolltiert geschnittene Kleider mit Spaghettitraegern, und nicht wenige der Polyestherroben geben frische rote Dehnungsstreifen an den hochgeschnuerten, noch im Wachstum befindlichen Bruesten frei.
"Jalla, jalla!" ruft eine wuetende Maennerstimme in den Toilettenraum, in dem ein Loch im Boden, ohne Wasserzulauf, als Abort dient. Stockschlaege knallen an die Tuer. Rashida und ihre Kolleginnen, ihre mitleidenden Kriegsopfer, wissen, dass sie jetzt wieder tanzen muessen. Sie klammern sich in Zweier- oder Dreierpaaren aneinander, halten sich an den Haenden, verknoten ihre Finger ineinander und verlassen ihr Refugium, die dreckige Toilette, um sich weiter auf der Buehne zu praesentieren.
Die Maedchengruppe besteigt die runde, zirkusmanegenartige Buehne.
Sie reihen sich bei den bereits zirkelnden Kolleginnen ein, so geht es die ganze Nacht, wie auf dem Viehmarkt drehen sie ihre Runden und werden bei Unlust mit Stockschlaegen getrieben. Zweierpaare, Vierer- oder Fuenfergruppen verkrampfen ihre Finger inneinander und schreiten auf den noch ungewohnten hohen Schuhen fuer ihre poteziellen Kunden. Auf Kommando der Maennerstimme, des Managers, loesen sich die Freundinnenpaare auf und positionieren sich entlang des Buehnenrandes. Das grelle Licht gibt bei vielen Verletzungen preis, nur wenige machen sich die Muehe, ihre zerschnittenen Arme, ihre Zigarettenbrandwunden , die Blauen- und die Knutschflecke zu ueberdecken. Manche von ihnen tragen auch taettowierte und uebertaettowierte Schriftzuege, andere wiederum gezielt geschnittene, zwei- und dreireihige Narben an den Oberarmen. Nach den Verletzungen befragt, geben sie an, dass sie sie sich selbst verletzt haben oder aber es ein "Habibi", ein "Liebling", also ein Kunde war, der sie mi§handelt hat. Sie kommentieren es mit resignierendem Schulterzucken und tiefen Blicken aus den unendlich traurigen Kinderaugen unter falschen Wimpern. Keine wuerde zugeben, von einer irakischen Schlepperbande entfuehrt und verkauft worden zu sein, keine wuerde zugeben, von ihren Eltern an mafioese Zuhaelter verkauft worden zu sein, keine wuerde zugeben, von ihren Eltern gezwungen worden zu sein, den Familienunterhalt zu sichern. Offiziell suchen die Maedchen einen "Habibi", und sei es nur fuer eine Nacht, fuer 7 Euro zwanzig. Die Frauenorganisation Al-Thara wei§ mehr ueber die Hintergruende und die mafioesen Strukturen, auch, dass einige irakische Familien ihre aelteren Toechter in die Golfstaaten verkauften, um das Geld fuer die Flucht ins sichere Syrien zusammen zu bekommen.
Der laute Dabka geht zu Ende, ein romatisches Liebeslied ertoent. Nun wiegen sich die Teenager am Buehnenrand im Takt der Musik, schauen suchend von Tisch zu Tisch und versuchen, durch intensiven Blickkontakt zu flirten. Manche Maedchen ziehen dabei beide Augenbrauen gleichzeitig im Takt der Musik hoch, so dass die geschminkten Kindergesichter eher wie traurige kleine Clowns als wie Freudenmaedchen aussehen.
In Momenten, in denen sie sich unbeobachtet fuehlen, blicken sie zu Boden und starren ins Leere, manche weinen ploetzlich und laufen zu ihren Muettern.
Die Muetter, die im hinteren Teil des Clubs sitzen, tragen allesamt Kopftuch und rauchen wie die auf den Parkplaetzen wartenden Vaeter Kette. Als Muslima ist es verboten zu rauchen und verpoent in der …ffentlichkeit; nie sieht man Frauen mit Kopftuch auf den Stra§en Arabiens rauchen. Die Muetter hier aber scheinen mit ihrem Leben, mit ihrem Ruf, ihrer Ehre, all dem. was einst ihren Stolz als Muslima ausmachte, abgeschlossen zu haben. Mit versteinerten Gesichtern starren sie auf die Tanzflaeche, beobachten die Blicke der Maenner und signalisieren ihren Toechtern anhand eines Laserpointers, welcher der Gaeste ein Auge auf sie geworfen hat.
Eine Dreiergruppe aelterer Saudis scheint an Rashida und ihrer Schwester interessiert. Die €rmel ihrer bluetenreinen, gestaerkten Dschalabiyas zieren aufwaendige goldene Manschettenknoepfe, diamantbesetzte Uhren blitzen hervor, als sie die Arme heben, um eine gro§maennische, heranholende Bewegung in Richtung der schreitenden Maedchen machen.
Nach einem weiteren Blickkontakt begeben sich die Auserwaehlte langsam zu den Interessenten, fragen hoeflich, ob sie sich setzen duerften und leisten den Herren, die ihre Gro§vaeter sein koennten, Gesellschaft. Gesprochen wird kaum, die Musik ist zu laut, und wahrscheinlich moechte auch keiner der Sextouristen die Hintergruende wissen, warum sich seine muslimischen Schwestern hier verkaufen muessen. Die Maedchen werden ausfuehrlich begutachtet, in ihre Oberarme gekniffen, als wollten die Freier die Festigkeit ihres jugendlichen Fleisches testen. Alkohol ist den Maedchen verboten zu trinken, so duerfen sie ein wenig am Wasserpfeifenschlauch saugen, bevor der Freier sie nach ihrer Telefonnummer fragt und wieder auf die Tanzflaeche schickt.
Doch das System der "Touristischen Clubs und Restaurants" sieht keinen Sex in der ersten Nacht vor, der Schein, ein Land ohne die Probleme des Westens wie dem Verfall der Sitten zu sein, mu§ in Bashar Al-Assads syrischer Republik gewahrt werden. Seit der liberale Libanon, in dem Prostitution legalisiert ist, aufgrund der unsicheren politischen Lage als Sex-Paradies ausgefallen ist, zieht es die Schaaren von reichen Golfstaatlern und Saudis in das ungemein preiswertere Damaskus. Nachdem die Nummern ausgetauscht wurden, gibt der Kunde dem Maedchen, dass wieder auf die Tanzflaeche mu§, einen "Missed call", sie speichert die Nummer und meldet sich zu Feierabend wieder bei ihm. Der Vater, der Bruder oder ein Taxifahrer faehrt die Maedchen dann an den verabredeten Treffpunkt, in ein Hotel oder in ein Apartment. Die eleganten Apartments und Villen, die von Agenturen an reiche arabische Touristen vermietet werden, werden meist mit Hausmaedchen, dass oft auch saemtliche weiteren Dienste verrichtet, vermietet. Oft finden die Treffen auch erst am naechsten Tag statt, um groe§tmoegliche Diskretion zu wahren. Keines der Maedchen steigt allein in einen der Luxuswagen, sie werden von Familienangehoerigen gebracht, die im Empfangszimmer, in der Lobby oder im Taxi warten, bis das Maedchen seine Arbeit verrichtet hat.
Der Nachtclub "Gazelle" liegt, wie unzaehlige andere Etablissements dieser Art, noerdlich von Damaskus, auf dem Weg nach Sednaya, einer Stadt, die seit Jahrtausenden Pilgerstaette fuer Christen, aber auch Sitz des modernsten, grausamsten syrischen Gefaengnisses ist. "Gazelle" ist ein Haus ohne Dach, ein riesiges Zelt dient als Schutz vor dem im Sommer sporadisch fallenden gelben Wuestenregen. Die Eingangstuer ziert ein Foto des syrischen Praesidenten, Bashar Al-Assad. Jeder damasszener Taxifahrer kennt die seit Beginn des Irak-Kriegs entstandene Vorstadt der Nachtclubs, Ma'araba, die in der sternenklaren Nacht wie ein kleines Las Vegas funkelt. Bis zum Horizont erstecken sich die grellen bunten Lichter der Reklamen der Vergnuegungsclubs, die meist"Touristischer Club und Restaurant", gepaart mit einem Namen wie "Gazelle", "Schoenheit" oder "Maedchentanz" benannt sind. Und jede Nacht, von Mitternacht bis zum ersten Gebetsruf kurz vor Sonnenaufgang herrscht Hochbetrieb, warten Taxifahrer auf Gaeste, kurven wuestensandverschmierte Luxuskarossen an, verkaufen Imbissbuden gegrillte Haehnchen fuer die Freier, Sue§warenstaende bieten vor den Etablissements Kaugummi, Schokoriegel und Limonade fuer die unfreiwilligen Sexarbeiterinnen feil. Polizei oder gar die Sittenpolizei laesst sich hier nicht blicken. "Und wenn, dann nur in zivil . um sich zu amuesieren und um abzukassieren" wie Yahia zu berichten wei§.
Waehrend ganze Stadtteile von Damaskus tagtaeglich unter stundenlangem Strom- und Wasserausfalls aufgrund des durch 1,4 Millionen irakische Fluechtlinge gesteigerten Bedarfs leiden, scheint hier von Not keine Spur. Jeder Parkplatz der rund 100 Lokalitaeten in Ma'araba ist voll belegt. Die parkenden Autos kommen aus Saudi-Arabien und aus Kuweit, die neuesten Modelle der ueberbreiten Sport Utility Vehicles aus den USA mischen sich mit Mercedes-Limousinen. Abseits, am Seitenausgang, sind einige aeltere Kleinwagen mit syrischen oder irakischen Kennzeichen zu sehen. In ihnen schlafen die kleinen Brueder der Taenzerinnen, bewacht vom Kette rauchenden Vater oder den aelteren Bruedern. Die kleinen Schwestern sind bei den Muettern im Club. Sie laufen von Tisch zu Tisch und betteln um Geld. Auch die vier- oder sechsjaehrigen sind so huebsch, niedlich und auch sexy zurechtgemacht, dass man sich Weiteres nicht vorstellen moechte. Und wie der syrische Staat die Augen vor dem Geschehen verschliessen moechte, denn Prostitution ist illegal in Syrien, schon das unverheiratete Zusammenleben eines Paares kann die Sittenpolizei auf den Plan rufen, die berechtigt ist, beim Verdacht auf Prostitution schonungslos einzugreifen, in einem Land, in dem Kuessen auf der Stra§e verboten ist. Gefaengnisstrafen ab drei Jahren sind fuer der Prostitution verdaechtigte Buerger und Buergerinnen vorgesehen, oder aber ein kraeftiges Trinkgeld fuer die Offiziellen, wie Yaha X von der Frauenorganisation Al-Thara im damaszener Vorort Jaramana zu berichten wei§.
Manchen der saudischen Wagen sieht man die sechstuendige Fahrt durch die jordanische Wueste noch an, viele Maennergruppen kommen fuer ein Wochenende, einen Monat oder gleich den ganzen Sommer, um sich allnaechtlich an dem in ihrem Land verbotenen Alkohol und den aufreizend zurechtgemachten, billigen Maedchen zu erfreuen. Mishal ist einer von ihnen. Der 21-jaehrige, der als Angestellter bei der kuweitischen Armee arbeitet, hat sich mit acht Cousins und Freunden eine Villa in Damaskus gemietet . "Den ganzen August lang koennen wir uns vergnuegen!" erzaehlt lachend und scheinbar auch stolz, "wirklich jede Nacht" kaeme er hierher, und aufgrund der billigen Preise koennten er und seine Freunde allnaechtlich zwei oder drei Maedchen . "pro Mann, natuerlich!" mitnehmen. Zwar versuche er ein guter Moslem zu sein . so trinkt seine Clique als eine der wenigen im Club keinen Alkohol -, zwar habe er ein Maedchen in Kuweit, dass er lieben wuerde, aber da er noch nicht genug Geld fuer die aufwaendige Hochzeit gespart hat, doch er wolle die Freuden des jugendlichen Lebens jetzt und hier geniessen. "Bei uns ist doch alles verboten und unsere Maedchen sind anstaendig, aber hier haben wir eine Party-Villa, nicht mal MTV wuerde uebertragen duerfen, was jede Nacht bei uns abgeht!" Der aktuelle Hit der Nachtclubszene, ein extrem schneller Dabka, zu dem eine Frauenstimme in hohen Toenen singt, ertoent, und seine Begleiter zwischen 17 und 24 Jahren ziehen in auf die Tanzflaeche. Die jungen Maenner in den traditionellen langen wei§en Dschalabiyas fassen sich an den Haenden und tanzen zunaechst gemeinsam, bis sie sich scheinbar beliebig Maedchen aus der zirkelnden Menge an den Haenden greifen, eng an sich pressen und mit ihnen tanzen. Ein Au§enstehender auf Stippvisite wuerde beim Blick durch die schmierigen Scheiben vielleicht den Eindruck bekommen, es handele sich um einen Schulabschlussball.
Doch die Szenerie truegt. An weiteren Tischen, die mit schmuddeligen Tischdecken, Gemuesesnacks und Plastikdecken dekoriert sind, sitzen auch aeltere Saudis, Familienvaeter, die bei Tee und Johnnie Walker Black Label an ihren Wasserpfeifen saugen, "Schischa trinken" wie es auf Arabisch heisst. Ein Tisch mit Gedeck, ohne Getraenke, kostet rund 43 Euro, 43 Euro, fuer die Rashida fuenf Naechte lang mit fremden Maennern gehen muesste. Zwei Bier kosten soviel wie eine Nacht mit ihr, eine Flasche des Statussymbols Johnnie Walker oder Chivas Regal ueber 100 Euro. Ein Viertel der Monatsmiete fuer Rashidas und Nadyas Familie.
Posted by jaz at 15.09.07 10:23