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15.08.07
Operation Wuestensturm
Pinkfarben gluehen die Berge. Die untergehende Sonne taucht die orange-roten Felsformationen des Wadi Rums in Rottoene aller Schattierungen. Doch heute Nacht wird keine Nacht der meditativen Stille unter der ansonsten stets sichtbaren Milchstrasse. Techno donnert ueber die Sandtaeler im jordanischen Sueden, die ersten Laserstrahlen
der State-of-the-Art Lichtshow blitzen in den tiefblau in Himmel, verbannen romatische Sternenguckerei am Lagerfeuer in das letzte Jahrtausend. Zwei Beduine, traditionell in lange weisse Dschalabiyas und die rot-weissen Kopftuecher gehuellt, hocken in rund 50 Meter Hoehe auf dem Sandsteinfelsen, der "Die Sieben Saeulen der Weisheit" genannt wird und beobachten das zu ihren Fuessen beginnende Spektakel, das sich nun zum fuenften Mal jaehrt. Die Moderne ist unuebersehbar auch im Reiche Koenig Abdallahs angekommen; mit dem "Distant Heat"-Festival zelebriert die westlich gepraegte Jugend des Nahen Ostens ihre Freiheit, gemischtgeschlechtlich und frei von den im Grossteil des Landes spuerbaren strengen Konventionen.
Der aufkommende heisse Wuestenwind bringt keine Erfrischung, doch die einbrechende Nacht verspricht ein wenig Kuehle. Eine Zigarette rauchen die beiden noch, dann wickeln sie ihre Kuffiyas eng um den Kopf und verschwinden wieselgleich in der Felsformation. In der unendlichen Weite des Wadis, unterbrochen von bis zu 1.700 Meter hohen Sandsteinfelsen, waehnt man sich eher auf dem Mars als im Sueden des Haschemitischen Koenigreiches. Umso skurriler das Programm der Nacht: Zwoelf Stunden, gewidmet dem Rave, der Ekstase im Tanz, des Loslassens stehen fuer die zahlungskraeftigen Gaeste an, dem Motto der Party "Above and Beyond" enprechend. Trance-Sounds, aufgelegt durch den britischen Star-DJ Dave Seaman versprechen das Gefuehl der Freiheit, des Aufgehens in der Masse, das Gefuehl des Sich-verlierens in Trance - eine Art des Feierns, die seit Beginn der Rave-aera Anfang der Neunziger Jahre zumindest in der westlichen Welt unmittelbar mit dem Konsum von chemischen Drogen verbunden ist.
Reisebusse und die ueberdimenionierten, in Arabien bei der wohlhabenden Schicht so beliebten Sport Utility Vehicles spucken kurz nach Einbruch der Dunkelheit hunderte von Partygaesten aus, angereist aus Amman, aus Beirut, aus den Golfstaaten und einige wenige sogar aus Israel. Neben einigen Ukrainerinnen, die "urspruenglich zum arbeiten" nach Amman gekommen waren, "jetzt aber einen festen Freund" haben, finden auch rund 200 Niederlaender den weiten Weg zum Distant Heat Festival; zwei TV-Berichte hatten die Veranstaltung als den "weltbesten Rave" angepriesen.
Waehrend die ersten direkt auf die Tanzflaeche stroemen, machen sich die meisten an die Wodka lastigen Bars und zum Abendessen auf - es gibt Schawarma, Hamburger und Hotdogs, im Ticketpreis von 100 US Dollar, rund einem Viertel des durchschnittlichen jordanischen Monatseinkommens, inbegriffen.
Insgesamt sollen sich rund 1600 Angehoerige der pan-arabischen und internationalen Rave Nation hier einfinden, um bis zum Sonnenaufgang zu tanzen, zu trinken und "ein Zeichen fuer einen friedlichen, modernen Nahen Osten" zu setzen, wie die Organisatorin Julian Noursi erklaert. Schon seit Tagen liefen die Vorbereitungen fuer das groesste Techno-Spektakel Jordaniens im Wadi Rum, dem Tal, in dem die ansaessigen Beduinenstaemme seit Jahrhunderten leben und seit Jahrzehnten sanften Wuestentourismus betreiben, entstand innerhalb weniger Tage die groesste Open-Air Tanzflaeche des Landes, bauten internationale Sponsoren ihre Zelte und VIP-Lounges auf und karrten hektoliterweise Getraenke, allen voran Spirituosen, an. Die touristische Infrastruktur - sanitaere Anlagen und eine Zeltkolonie mit einfachen Betten sowie Grillplaetze - ist aufgrund des florierenden Wuestentourismus ohnehin vorhanden.
Schon die Abfahrt der Busse aus der konservativ gepraegten jordanischen Hauptstadt Amman kam einer kleinen Love Parade gleich. Hunderte Raver trafen sich an der Strasse vor dem Koeniglichen Jordanischen Automobil-Club, stellten ihre Autolautsprecher auf volle Lautstaerke und genossen die Vorfreude auf das jugendkulturelle Event-Highlight des Landes. Die Passagiere der vorbeifahrenden Autos und Kleinbusse, die sogenannten "Services", die im Nahen Osten die Funktion von oeffentlichen Verkehrsmitteln einnehmen, blickten verstoert auf die zahlreichen Hipster in westlicher Designerkleidung. Junge Frauen in Mikroshorts und den knappen offiziellen "Distant Heat"- Tops uebernahmen die Besetzung der Busse und ernteten nicht wenige unverstaendnisvolle Blicke der "Service"-Passagierinnen, von denen die Mehrheit Kopftuch oder auch Niqab, die schwarze Vollverschleierung trugen. Jugendkultur ist stets mit Rebellion verbunden. Sie gewinnt aus dem Kampf gegen alte Strukturen ihre Kraft, doch kann dieses verbindende Gefuehl, das auch in gemeinsamen Drogenkonsum, der zum Durchbrechen von Grenzen treibt, dieses Gefuehl, das die westliche Rock-, Punk- und Rave-Bewegung in ihren Anfaengen praegte, problemlos von der Jeunesse DorŽe des Nahen Ostens uebernommen, verinnerlicht und zur Triebkraft fuer Revolte werden? Muessen sich die wohlhabenden, im Ausland ausgebildeten Twens ueberhaupt befreien, kann das im Nahen Osten durch Raven geschehen?
Dem Geheiss der Busfahrer, waehrend der Fahrt keinen Alkohol zu trinken, wurde sich widersetzt, wie in wohl jedem Partybus der Welt kreisten auf den hinteren Baenken die Wodkaflaschen, wurden Zigaretten geraucht. Auf der ersten Raststaette machten Joints die Runde, ungeachtet der extrem strengen Drogenpolitik des Koenigshauses, die bis zu lebenslanger Gefaengnisstrafen bei Zwangsarbeit schon bei kleinsten Vergehen vorsieht. Einige der Niederlaender scheinen sich entweder nicht ueber die Null-Toleranz-Einstellung informiert zu haben, hoffen auf Touristenbonus oder scheren sich nicht einfach darum: schon im Bus versuchen sie, Ecstasy-Pillen zu erwerben und zeigen sich verstoert ueber den, nach vielen Nachfragen erfahrenen Preis von 30 Dollar - Michel, ein Mittzwanziger aus Rotterdam kommentiert trocken, dass er doch 100 Stueck aus Holland haette mitnehmen sollen, wenn der Drogenerwerb hier so "eine Anstrengung" sei.
"Drogen? Gibt es hier nicht, und wenn, gehen wir dagegen vor!" und weiter, das alte Anti-Drogen-Motto zitierend, mit dem schon Generationen von Ravern ihre beunruhigten Eltern zu beschwichtigen suchten: "Music is the only drug!" lacht "Distant-Heat"-Erfinderin und Event-Managerin Julian,"unser Land ist sicher, liberal - und wo bitte auf der Welt gibt es eine Party in solch spektakulaerer, urspruenglicher Landschaft, auf der die Toiletten noch am naechsten Morgen Wasser haben?" freut sich die Endzwanzigerin, die lange im Libanon arbeitete und dort das Event-Business lernte. Auf die Idee, ein Techno-Festival in der Wueste zu veranstalten, kam die Christin, als sie sie in ihre Heimat Jordanien zurueckkehrte und libanesische Freunde, DJs und Musikproduzenten, einlud. "Ich wollte, dass meine libanesischen Freunde mich meiner Heimat besuchten, aber sie fragten mich nur, was sie denn im Wuestenland Jordanien oder im langweiligen Amman mit seinen drei Hoteldiskotheken schon erleben sollten." Da die beeindruckende Location zu Fuessen der "Sieben Saeulen der Weisheit" seit Langem infrastrukturell erschlossen ist, war der Platz fuer das Festival schnell gefunden, sie veranstaltete die erste Party, zu der rund 350 Gaeste kamen. Da diese ersten 350 die Opinion Leader, die Pioniere der elektronischen Musik im arabischen Teil des Nahen Ostens waren, sprach sich die Veranstaltung schnell in der Region herum. Nun musste man nicht mehr neidvoll nach Israel blicken, wo derartige Veranstaltungen im Sommer woechentlich mehrfach stattfinden.
Mittlerweile kommen die Gaeste, viele von ihnen Exil-Jordanier, -Palaestinenser, oder -Libanesen, die im Ausland ihr Geld verdienen und den Sommer in ihrer Heimat verbringen, regelmaessig zu Distant Heat. Auch viele Homosexuelle haben sich eingefunden, um eine Nacht lang in freier Atmosphaere und bei - nach europaeischen Massstaeben eher einfachem, kommerziellem - Techno-Trance ihre Jugend zu feiern, ihre in arabischen Laendern verbotene Sexualitaet zu demonstrieren, die politische Lage der Region, die neuen Probleme, die der "Sommer-Krieg" im Libanon und die uebersiedlung hunderttausender irakischer Fluechtlinge mit sich brachte, zu vergessen.
Schon vor Mitternacht ist die Tanzflaeche brechend voll, Promoterinnen in engen wei§en Minikleidern verschenken Zigaretten in der VIP-Lounge, Wodka Red Bull, unter deutschen Ravern als "Koks fuer Arme" verrufen, scheint das beliebteste Getraenk; die ersten Volltrunkenen liegen ab vier Uhr morgens auf den weissen kunstledernen Sitzecken, die rings um den Dancefloor aufgebaut wurden. Doch die Party ist noch laengst nicht zu Ende, es ist ein Stand mit Koerpermalfarben aufgebaut worden, der viele junge Maenner dazu bewegt, sich ihrer Designer-Shirts zu entledigen und sich wie Kinder wild und bunt zu bemalen. Als haette der groe§te amerikanische Lollipop-Produzent um die Rueckkehr zur Infantilitaet gewu§t, werden nun auch kleine Plastiktaschenlampen mit integrierter Lutscher-Tragevorrichtung an die bemalten Gaeste verteilt.
Kurz vor Sonnenaufgang umrunden Feuerspucker und .Akrobaten den Dancefloor. Die Bewegungen der Alkoholkonsumenten werden langsamer und tumber, und bei Sonnenaufgang zeigt sich ein deutlicher Unterschied zur europaeischen, auch zur israelischen Rave-Kultur der Trance-Open-Air-Festivals. Waehrend das Erscheinen der Sonne in Europa und Israel als der Hoehepunkt eines Festivals angesehen und gefeiert wird, die DJs, die die Ehre haben, diesen besonderen Moment zu gestalten sich wochenlang Gedanken ueber den Aufbau ihres Sets machen, so legt der jordanische DJ einfach eine CD, einen drei Jahre alten Radio-Hit des in Ost-Berlin aufgewachsenen internationalen Trance-Gottes Paul van Dyk auf, die Sonne arbeitet sich ihren Weg hinter den "Sieben Saeulen der Weisheit" hervor, und die Reisebusse stehen bereit fuer die Abfahrt ans Rote Meer nach Aqaba, wo zwei After-Parties, die erste, direkt anschliessende, im Beach Club bei rund 50 Grad Hitze, auf die erschoepften Taenzer warten.
Enttaeuscht ist keiner der Rotterdamer Raver der ersten Stunde, nur "verwundert" darueber, wie "Trance ohne Drogen Spass machen soll", toll sei die Stimmung trotzdem gewesen befindet Michel, der seinen ersten Rave ohne Ecstasy absolvierte, nur seien die Maedchen doch "deutlich abweisender" als auf einer vergleichbaren Party in Holland gewesen. Die strahlende Morgensonne weist nun deutlich die interkulturellen Unterschiede im Styling auf, und vielleicht auch den Grund, warum die schoenen arabischen Maedchen sich so abweisend zeigten: waehrend die Hollaender Fussballtrikots und kurze Hosen, ein schlimmer Styling-Faux-Pas in Arabien, tragen, einige sich auch mit den gro§en Filzhueten, die man von Fu§ball-Laenderspielen kennt, verkleidet haben, sind die arabischen Gaeste eher im Muenchner Stil der internationalen Rich Kids, mit Designerhemden, Applikationen und viel Glitz gestylt.
"Be kind to the Camels!", der Hinweis, der auf den Einladungskarten Grund zur Verwunderung gab, macht nun ploetzlich Sinn: Am Horizont tauchen die ersten Beduinen mit ihren Kamelen auf und so manch einer macht noch einen schnellen Dinar, in dem er die verschwitzten, bemalt-verschwitzten Gestalten der Nacht - unter strenger Aufsicht - auf seinen Tieren reiten laesst.
Posted by jaz at 15.08.07 10:27