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1.04.07
Herr Schumann und die Hisbollah
Hassan Schumann hat einmal in Schoeneberg gewohnt und Autos verkauft. Jetzt ist er Buergermeister des Schiiten-Camps, das die westliche Regierung in Beirut stuerzen will Beirut ist belagert.
Hassan Schumann hat einmal in Schoeneberg gewohnt und Autos verkauft. Jetzt ist er Buergermeister des Schiiten-Camps, das die westliche Regierung in Beirut stuerzen will.
Erschienen in: Wochenendbeilage der Berliner Morgenpost,
1. April 2007
Beirut ist belagert. Zwar saeuseln die Maenner an der Strandpromenade wie immer ein "Bonjour" oder stimmen ein kleines Liebeslied an, wenn junge Frauen an ihnen vorbeiflanieren. Zwar bieten die Strandrestaurants wie immer auf ihrer franzoesischen Speisekarte hervorragenden Fisch und gute libanesische Weine an, und auch an den Straenden baden die Menschen im Maerz wie immer. Aber die Belagerung ist da. Sie kommt von innen und ist allgegenwaertig. Wie die zerschossenen Ruinen, die vereinzelt zwischen den glitzernden Neubauten der Stadt stehen und an den Buergerkrieg erinnern.
Hassan Schumann ist einer der Belagerer. Mitten in Beirut haben radikal-islamische Kraefte ein Zeltlager errichtet. Die schiitische Hisbollah, unterstuetzt vom Iran, demonstriert seit Wochen in der Innenstadt. Schumann ist der Chef der revolutionaeren Camper. Tausende Schiiten, Maenner, Frauen, Kinder. Sie wollen die prowestliche Regierung stuerzen.
Schumann lebte sieben Jahre lang in Schoeneberg, in der Fuggerstra§e, bis Mitte der 90er-Jahre. "Direkt neben Romy Haag, das ist ein Mann oder Frau, so genau wei§ das keiner, kennen sie Romy? Wir in Libanon haben auch solche Leute." Er lacht.
Er war Autohaendler, seine Kinder gingen in die deutsche Grundschule, spielten Fu§ball bei den BSC Kickers 1900. "In Deutschland musste ich viel organisieren" sagt er. "Bei euch macht man Sachen immer richtig. Mit Papieren, die man bei €mtern kriegt. Mensch, was musste ich mich immer um die Ausweise von meinen Autos kuemmern." Deutschland sei fuer ihn "ein gutes Land, in dem alles funktioniert", er habe viel von den Deutschen und ihrem Organisationstalent gelernt. "Ihr habt so gute €rzte, und alle arbeiten umsonst. Hier muss man Geld beim Arzt bezahlen, viel Geld im Voraus." Deutschland sei ein "fast perfektes" Land. Nur das Wetter habe ihn gestoert.
Die Hisbollah war wohl der Meinung, dass man ein guter Organisator sein muss, wenn man so lange in Deutschlang gelebt hat.
Um zu Schumanns Camping-Lager zu kommen, muss man durch "Downtown" laufen. Das Viertel wurde in den Drei§iger Jahren von den Franzosen erbaut, im Buergerkrieg komplett zerstoert, dann erstand es wieder auf. Hier stehen Kirchen und Moscheen nebeneinander, friedlich darf jeder seinen Glauben ausueben. Jeden Abend ruft der Muezzin zum Gebet, dann laeuten die Kirchenglocken. Die Gotteshaeuser fuellen sich, und es fuehlt sich an, als ob ein Friede der Religionen sogar hier im Libanon, wo es ueber 40 Glaubensrichtungen gibt, moeglich sei. Es ist ein liberales, ein westliches Viertel. Schumann sagt: "Wir wollen uns aber nicht nach Westen oeffnen." Dass zwei Drittel seiner Landsleute das anders sehen, interessiert ihn nicht.
Je naeher man dem Hisbollah-Camp kommt, desto klarer wird, dass man sich in einem Land unter Waffen befindet. An jeder Stra§enecke stehen Panzer und Soldaten der Regierungsarmee. An allen Kreuzungen sind sie postiert, beaufsichtigen Stra§ensperren. Die jungen Wehrpflichtigen tragen Uniformen in grau-wei§em Tarn-Look, Kalaschnikows haengen an ihren Schultern. Sie sollen aufpassen, dass die Hisbollah und Herr Schumann nicht die Oberhand gewinnen oder gar einen Putsch mit Waffengewalt versuchen. Haben die Soldaten gerade nichts zu tun, sieht man sie beim Herumspielen mit ihren Handys.
Herr Schumann betritt ein durch Stacheldraht abgesperrtes Areal. Das Ziel sei, den Libanon in einen schiitischen Gottesstaat zu wandeln, sagt er freundlich auf Deutsch. Um das zu erreichen, campieren Hunderte, an Wochenenden auch Tausende Schiiten aus dem ganzen Land rings um den Maertyrerplatz.
Im Camp ist er der "Buergermeister", beaufsichtigt Hygiene, Sauberkeit, Versorgung. Sein Lager ist sauber. Es gibt handelsuebliche Einfamilienzelte, aber auch solche fuer nur eine oder zehn Personen und auch einige alte Rot-Kreuz- oder UN-Fluechtlingszelte. In und vor den Zelten sitzen junge Maenner, die Wasserpfeife rauchen. In den Zelten doesen Kinder auf Deckenlagern.
"Muessen die nicht zur Schule?"
Herr Schumann zitiert einen Jungen herbei und fragt ihn auf Arabisch. "Nein", sagt das Kind, die Schulen seien im Krieg zerstoert worden, au§erdem sei es "viel wichtiger, die korrupte Regierung endlich zu stuerzen." Herr Schumann uebersetzt ins Deutsche. Er scheint sehr zufrieden mit der Antwort.
Beim Gang durch das Lager winken viele Langzeitcamper der Besucherin zu. Sie wollen fotografiert werden. Doch das, erklaeren die Sicherheitsbeamten, sei nicht moeglich. Die Reporterin koennte Spionin sein. Herr Schumann winkt ab. "Bitte, fotografieren sie mich, hier in meinem Lager!"
Es wird Abend, es ist Wochenende, das Lager fuellt sich. Unter Beiruter Schiiten ist der Besuch beim Camping eine normale Abendvergnuegung geworden. Herr Schumann freut sich, gerade an einem so schoenen Samstagabend Besuch aus Berlin zu haben. Er zeigt, wie modern und frei die Frauen hier sind. Die Damen der Hisbollah haben sich schick gemacht. Es klackern hohe Schuhe unter ihren langen Kleidern, man traegt Make-up zu kunstvoll gebundenen Kopftuechern in passenden Farben. Aus den gro§en Lautsprechern schallt Parteipropagandamusik, an offenen Feuerstellen hocken Menschen auf dem Boden, kochen, rauchen Wasserpfeife. Immer wieder flitzen Halbstarke, die Metallkessel voller frischer Glut schwenken, zwischen Maennergruppen hin und her. Die Frauen sitzen gemeinsam an einzelnen Zelten. Dort hueten sie ihre kleinen Kinder. Auch einige der Verschleierten rauchen. Haendler verkaufen bunte Gasballons und kleines Spielzeug, meist Plastikwaffen. Aber auch Parteischals, Flaggen und Poster der "Partei Gottes" und ihres Fuehrers, Hassan Nasrallah.
Herr Schumann fuehrt zum zentralen Festzelt, hinter einer Buehne mit gro§er Leinwand. Zehnergruppen sitzen in Kreisen, rauchen, ein alter Kaffeehaendler verkauft kleine Plastikbecher voll mit duftendem, sue§em Kaffee mit Kardamom. Herr Schumann gibt einen aus. Vom Festzelt aus hat man einen guten Blick auf die Buehne und ihre Absperrungen. Sie sind mit handgemalten, ueberdimensionierten Portraets junger Maenner geschmueckt, die ihr Leben im Krieg gegen Israel lie§en. "Schuhada", wie einer der Umstehenden sagt, "Maertyrer". Dann zaehlt er die Namen der Maenner auf und nennt ihr Alter. Keiner wurde aelter als Zwanzig. Herr Schumann schluerft hei§en Kaffee, nickt und sagt: "Diese Maenner sind unser Stolz. Wir fuerchten den Tod nicht."
Irgendwo ertoent eine Trommel, eine Rassel, dann fallen Stimmen ein. Halbstarke Jungen beginnen zu tanzen, den Dabka, einen arabischen Schreittanz mit wilden Spruengen. Die Taenzer stampfen und huepfen.
Auf dem Platz vor dem Zelt beginnt die Videouebertragung einer Rede des Parteichefs. Den Strom, der hierfuer benoetigt wird, zapfen Herrn Schumanns Techniker einfach von den lose in Beirut herumhaengenden Stromkabeln ab. "Schauen Sie, was wir hier alles machen koennen - und keiner kann es uns verbieten", sagt er. Und waehrend er sein mehrere Fu§ballfelder gro§es Lager, dekoriert mit Flaggen, Maertyrer-Gemaelden und Parteiplakaten mit einer ausladenden Handbewegung praesentiert, fuegt er hinzu: "Alles laeuft. Man muss nur organisieren koennen. Und das habe ich in Berlin gelernt. Ich liebe Deutschland!"
Posted by jaz at 1.04.07 17:33