« Menschen in Beirut (2) - Kapitaen im Libanon, bald in Elternzeit | Main | Herr Schumann und die Hisbollah »
29.03.07
Menschen in Beirut (3) Der Buergermeister des Hisbollah-Campinglagers
Wer an einem lauen Fruehlingsnachmittag die Strandpromenade von Beirut, die Corniche, entlangspaziert, dem wird das Haar vom warmen Mittelmeerwind zerzaust. Maenner saeuseln leise ein "Bonjour" oder stimmen ein kleines Liebeslied an, wenn junge Frauen alleine an ihnen vorbeiflanieren. Es gibt Strandrestaurants mit franzoesischer Speisekarte und mit hervorragendem Fisch, guten libanesischen Weinen und Straende, an denen schon im Maerz gebadet wird. Viele glitzernde Neubauten recken sich neben hohen Palmen in den Himmel. †ber hunderte von Metern kann man vergessen, im Krisengebiet Beirut, nicht in St. Tropez oder Miami zu sein.
Dann und wann erinnern einige zerschossene Ruinen noch daran, dass hier noch bis zum Ende der 80-er Jahre Buergerkrieg herrschte. Doch der Libanon will ein Ende von Krieg und Terror, er will wirtschaftlichen Aufbruch, die …ffnung nach Westen. Zumindest wollen das geschaetzte zwei Drittel der Bevoelkerung, die Christen und die modernen sunnitischen Muslime. Nicht aber die Schiiten, die in der Hisbollah, der "Partei Gottes" organisiert sind und versuchen, Ministerpraesident Fuad Siniora und sein Kabinett zu stuerzen. Seit Dezember. Durch eine gro§angelegte, revolutionaere Camping-Aktion.
Um zum Camping-Lager zu kommen, mu§ man durch "Downtown" laufen. Das Viertel wurde in den Drei§iger Jahren von den Franzosen erbaut, dann im Buergerkrieg komplett zerstoert, bevor es durch teure Investitionen in wunderschoener Form wiedererstehen konnte. Die im Sonnenlicht strahlenden sandsteinfarbenen Haeuser entstanden nach den Original-Bauplaenen aus der franzoesischen Mandatszeit. Sie muessen sich nicht hinter ihren architektonischen Schwestern an der Cote d'Azur verstecken. Prachtvolle Stuckarbeiten, klassische Giebel, Erker, Tuermchen. Hier gibt es keine Ruinen, die sonst im Stadtbild allgegenwaertig an Krieg und Zerstoerung erinnern.
Alles ist weitlaeufig und elegant. Und wirkt sehr liberal: neben Kirchen stehen Moscheen, friedlich darf ein jeder seinen Glauben ausueben. Das allabendliche Geraeuschspektakel: zunaechst ruft der Muezzin zum Gebet, dann laeuten die Kirchenglocken im ganzen Libanon. Erst fuellen sich die Moscheen, dann die Kirchen mit Menschen, die an den einen Gott mit verschiedenen Namen glauben. Es fuehlt sich an, als ob ein Friede der Religionen sogar hier im Libanon, wo es ueber 40 Glaubensrichtungen gibt, moeglich sei.
Doch der Schein truegt, je naeher man zum Hisbollah-Camping kommt. Es wird klar, dass man sich in einem Land unter Waffen befindet. An jeder Stra§enecke stehen in der Gegend um Downtown Panzer und Soldaten der Regierungsarmee. An allen Kreuzungen sind sie postiert, beaufsichtigen Stra§ensperren. Dir jungen Wehrdienstpflichtigen tragen Uniformen in geometrischem Grau-Wei§em City-Tarn-Look, fast schon modisch. Dazu baumeln laessig Kalaschnikows ueber ihren Schultern. Die Armee passt auf, dass die Hisbollah nicht die Oberhand gewinnt oder gar einen Putsch mit Waffengewalt versucht. Denn Waffen hat die Hisbollah zu genuege. Alle Taschen der spaerlichen Passanten werden kontrolliert. Haben die Soldaten gerade nichts zu tun, so sieht man sie beim Herumspielen mit ihren Handies. Wie ganz normale 20-jaehrige Maenner.
Nach einer letzten Kontrolle darf ich das Camp betreten. "From Germany?" werde ich gefragt. Ich bejahe und werde zu Hassan Chuman (oder in deutscher Umschrift: Hassan Schumann) gefuehrt. Er steht dem illegalen, aber geduldeten Zeltlager vor. Seit vergangenen Dezember ist Herr Schumann der Buergermeister vom "Hisbollah Camping". Das Ziel der Aktion ist, die angeblich korrupte Regierung zu stuerzen und den Libanon in einen schiitischen Gottesstaat zu wandeln, wie mir der freundliche Herr auf deutsch erklaert. Um dies zu erreichen, campieren hunderte, an Wochenenden auch tausende Schiiten aus dem ganzen Land rings um den Maertyrerplatz.
Hassan Schumann lebte mit seiner Familie bis Mitte der Neunziger Jahre in Berlin, in der Fuggerstra§e. "Direkt neben Romy Haag, das ist ein Mann oder Frau, so genau wei§ das keiner, kennen sie Romy?" fragt er scherzend in stark akzentuiertem Deutsch. "Wir in Libanon haben auch solche Leute." lacht er. In Deutschland war Herr Schumann als "Autodealer" taetig. Deutschland ist fuer ihn "ein gutes Land, in dem alles funktioniert", er habe viel von den Deutschen und ihrem Organisationstalent gelernt. Doch nach sieben kuehlen deutschen Sommern zog es ihn in die Mittelmeersonne zurueck.
Derzeit uebernimmt Herr Schumann als "Buergermeister" administrative Funktionen. Er beaufsichtigt Hygiene, Sauberkeit, Versorgung des Camps. Stolz fuehrt der kleine kraeftige Mann durch sein sauberes Lager. Es gibt handelsuebliche Einfamilienzelte, aber auch solche fuer nur eine oder zehn Personen und auch einige alte Rot-Kreuz- oder UN-Fluechtlingszelte. In und vor den armseligen Behausungen lungern zumeist junge Maenner, die Wasserpfeife rauchen oder kuerbiskernkauend in die Gegend schauen. Schafft man es, durch ein Loch in der Zeltwand zu schielen, sieht man wie Jungs auf schmuddeligen Deckenlagern doesen.
Ob sie denn nicht zur Schule muessten? frage ich Herrn Schumann. Er zitiert einen Jungen herbei und fragt ihn auf Arabisch. "Nein", lautet die Antwort des Burschen, die Schulen seien im Krieg zerstoert worden, au§erdem sei es "viel wichtiger, die korrupte Regierung endlich zu stuerzen".
Herr Schumann glaubt an den Umsturz durch sein "Projekt Camping", er strahlt, der befragte Bursche hat wohl die richtigen Antworten gegeben.
Beim Spazieren durch das Lager, natuerlich in Begleitung von Herrn Schumann und seinen staemmigen Sicherheitsbeauftragten, winken mir viele Langzeitcamper zu. Sie wollen fotografiert werden. Doch das sei, erklaert die Security, nicht moeglich. Die Reporterin koennte Spionin sein. Doch Herr Schumann winkt ab. "Bitte, fotografieren sie mich, hier in meinem Lager!"
Es wird Abend, es ist Wochenende. Die Sonne senkt sich in der Ferne, ueber dem glitzernden Mittelmeer. Der Himmel faerbt die wenigen Woelkchen in den schoensten Farben des Feuers. Jetzt kommt Leben auf. Wochenendstimmung! Das Lager fuellt sich merklich, unter Beiruter Schiiten ist der Besuch beim Camping eine normale Abendvergnuegung geworden. Herr Schumann freut sich, gerade an einem so schoenen Samstagabend Besuch aus Berlin zu haben. Ich soll sehen, wie modern und frei die Frauen hier sind.
In der Tat: die Damen der konservativen Hisbollah haben sich schick gemacht. Es klackern hohe Schuhe unter ihren langen Kleidern, auch Make-Up, natuerlich zu kunstvoll gebundenen Kopftuechern in passenden Farben. Aus den gro§en Lautsprechern schallt Parteipropagandamusik, an offenen Feuerstellen auf dem Boden gehockt, gekocht und ueberall Wasserpfeife geraucht. Der alte Beruf des Glut-Hueters lebt hier noch, immer wieder flitzen Halbstarke, die Metallkessel voller frischer Glut schwenken, zwischen Maennergruppen hin- und her. Die Frauen sitzen mit Freundinnen an einzelnen Zelten. Dort hueten sie ihre kleinen Kinder und die Maedchen, die Jungs laufen meist einfach mit Freunden und Bruedern herum. Einige verschleierte Damen rauchen auch Wasserpfeife oder, wie man hier sagt, "trinken Schischa". Fliegende Haendler verkaufen bunte Gasballons und kleines Spielzeug, meist Plastikwaffen. Aber auch Parteischals, Flaggen und Poster der Partei Gottes und ihres Fuehrers, Hassan Nasrallah.
Herr Schumann fuehrt zum zentralen Festzelt, direkt hinter der Buehne mit der gro§en Leinwand. Hier finden bestimmt an die 1000 Menschen Platz. Jetzt sitzen sie in Zehnergruppen in Kreisen, um ihre brodelnde Schischa herum, ein alter Kaffeehaendler verkauft kleine Plastikbecher voll duftendem sue§em schwarzen Kaffee mit Kardamom. Herr Schumann laedt mich ein, der Kaffee kostet nur 25 Cent. Aus dem Festzelt heraus hat man einen guten Blick auf die Buehne und ihre Absperrungen.
Sie sind mit handgemalten, ueberdimensionierten Portraits junger Maenner geschmueckt, die ihr Leben im Krieg gegen Israel, den die Hisbollah aus ihrer Sicht gewonnen hat, gestorben. "Schuhada", wie mir einer der Umstehenden stolz erklaert, "Maertyrer". Dann zaehlt er die Namen der Maenner auf und nennt ihr Alter. Keiner wurde aelter als zwanzig Jahre. Herr Schumann schluerft den hei§en Kaffee, nickt und sagt: "Diese Maenner sind unser Stolz. Wir fuerchten den Tod nicht".
Irgendwo ertoent eine Trommel, eine Rassel, dann fallen Stimmen ein. Halbstarke Jungen beginnen zu tanzen, den Dabka, einen arabischen Schreittanz mit wilden Spruengen. Die Taenzer stampfen und huepfen wie bockende junge Fohlen, und es blitzt mir der Gedanke, dass vielleicht schon die Gruendung eines Fussballvereins helfen koennte, diese unausgelasteten, Energie strotzenden Teenager weg von ihren radikal-islamischen Ideen zu bringen.
Auf dem Platz vor dem Zelt beginnt die Videouebertragung einer Rede des Parteichefs. Den Strom, der hierfuer benoetigt wird, zapfen Herrn Schumanns Techniker einfach von den lose in ganz Beirut herumhaengenden Stromkabeln ab. "Schauen Sie, was wir hier alles machen koennen . und keiner kann es uns verbieten" erklaert er, waehrend er sein mehrere Fu§ballfelder gro§es Lager, dekoriert mit Flaggen, Maerytrergemaelden und Parteiplakaten bei einer ausladenden Handbewegung praesentiert. "Aber alles laeuft. Man muss nur organisieren koennen. Und das habe ich in Berlin gelernt. Ich liebe Deutschland!"
Posted by jaz at 29.03.07 13:40