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14.02.07
Ali wants to be my Dog
Heute, am zweiten Jahrestag der Ermordung Hariris, wecken mich verzerrte Lautsprecherrufe aus den wenigen Autos, die am Staatstrauertag ueberhaupt fahren: "HaririHaririHariri", dem neuen Helden, dem beliebtesten Maertyrer des Landes soll Ehre erwiesen werden und naruerlich mu§ der Jahrestag des Beginns der Zedernrevolution, die den Abzug der verhassten Syrer zur Folge hatte, gefeiert werden. Ich gehe allein in Richtung des gro§en Maertyrerplatzes im neuen Geschaeftsviertel Downtown - doch natuerlich, wie immer, wenn ich mich hier auf der Stra§e bewege, nur kurz allein. Ein junger Mann spricht mich an (wie immer), mit den Worten "Where are you from" (wie immer). Doch dann schenkte mir dieser junge Sunnit, Ali, einen Einblick in sich - so tief und intensiv, wie ich noch nie und garantiert nie wieder in eine maskuline Seele schauen durfte und/ oder wollte.
Wohlgemerkt, vorab: ohne danach gefragt zu haben.
Da die "Lage gespannt" ist, wie es wohl in korrektem Reporterslang lautet, bin ich froh, eine ablenkende Begleitung an meiner Seite zu haben. Ein menschliches Radio, denke ich mir, schoen, lass ihn plappern, nach sechs Jahren Arabien kenne ich mittlerweile alle Anmachen (und auch die Loswerde-Tricks) - dachte ich -, er freut sich eine Westlerin kennen zu lernen, sollte er an meine freizuegig verteilte Emailadresse schreiben, so wuerde ich nie antworten, ich will einfach einen netten Spaziergang in der Fruehlingssonne bei 25 Grad erleben, bevor ich zur Massenkundgebung in den Einsatz fuer eine gro§e deutsche Zeitung und den Berliner Radiosender Motor FM mu§.
Warum nicht das erste Interview des Tages gleich in den Kasten kriegen?
Doch Ali war anders.
Ali ist beruhigt, als ich sage, dass ich Deutsche aus Berlin sei. "Ihr seid frei dort, oder? Jeder kann machen was er will, stimmts?"
Ich: "Ja, solange es niemanden pysisch oder psychisch stoert oder verletzt und die Taetigkeit sich innerhalb unsere sehr liberalen Gesetzgebung bewegt."
Ich mu§ hier im zwischenmenschlichen Kontakt stark auf Korrektheit achten, denn wie erinnerte mich mein Vater gestern noch per SMS: "Du bist Deutschland! Repraesentiere anstaendig!". Dabei wei§ Vater doch, dass ich mir extra einen wei§en Hut, passende Lederhandschuhe und goldene High Heels eingepackt habe - um ein anderes Deutschlandbild als die wenigen verschlampten deutschen Traveller, die sich dann und wann nach Beirut verirren, zu transportieren. Heute war ich casual und total unsexy unterwegs und doch, wie immer in Arabien, ein bunter Hund, nicht nur fuer Ali, aber das ist business as usual und macht, wenn frau guter Laune ist, auch Spa§ und die Reporterinnenarbeit unglaublich einfach.
Das Gespraech wurde spannend.
Ali: "In Deutschland gibt es viele Leute, die einen Sklaven haben, oder?"
Ich, einen Scherz versuchend: "Nein, ihr habt hier Sklaven, aber ihr nennt sie philippinische Hausangestellte."
Ali schaut mich unverstaendig aus seinen gro§en braunen Augen an. Zum Glueck haben mich meine zahlreichen Reisen in die Region mittlerweile vor der schlimmen Anfaelligkeit, in gro§e braune Augen versinken zu wollen, laengst geheilt.
Ali: "Ich meine, es gibt viele Frauen, die richtige Sklaven haben, oder? Die dann auf allen Vieren kriechen muessen und Schuhe putzen und kuessen muessen, oder? Ich habs im Internet gelesen!"
Ich habe keinen Schimmer worauf er hinauswill - Gottes Willen ist unergruendbar, nur Er wei§, aber dass Allah sich einen devoten Muslim mit europaeisch gepraegten Sklavenfantasien kreeirt haben sollte, schien mir zu diesem Zeitpunkt noch vollkommen undenkbar.
Ich: "Weisst du, es gibt Kontaktanzeigen, in deutschen Magazinen aehnlich dem `Time Out Beirut`. Die liest man als Teenager mit seinen Freunden und amuesiert sich, wenn man zum ersten Mal mit S/M konfrontiert wird, dann ueberlegt man spaeter, ob man das fuer sich selber mag, aber die meisten Europaeer enscheiden sich dann doch fuer ein Sexualleben nach anderen Ma§staeben und Beduerfnissen - nach Neigung und Moeglichkeiten, klar, aber Erniedrigung und Schmerz, so richtig ausgelebt, ist eine Spezialistensache - du kannst also nicht einfach so denken, dass `viele deutsche Frauen sich einen Sklaven`halten!"
Ali: "Wie hei§t du?"
Ich: "Nana."
Ali: "Darf ich dich Mistress Nana nennen?"
Nana ist mein Reisename, vor allem aber mein Spitzname aus Kindertagen, als ich meinen richtigen Namen noch nicht aussprechen konnte, nur meine Familie nennt mich so - umso abstrakter, meinen Kindernamen mit `Mistress`kombiniert zu hoeren
Ich: "Na, wenns dich gluecklich macht."
Ali: "Ja, es macht mich gluecklich, aber richtig gluecklich waere ich, wenn ich dein Sklave sein duerfte. Ich will fuer dich putzen und waschen und du mu§t mich auf allen Vieren kriechen lassen, wie einen Hund. Bitte..." strahlen mich die gro§en braunen Augen nun ein wenig verzweifelt an, "bitte lass mich dein Hund sein, Mistress Nana!"
Ich tippe immer noch auf einen schlechten Scherz, vermute eine absurde Wette, die er mit seinen Freunden vielleicht zu laufen hat, auf die libanesische Version der versteckten Kamera, irgendetwas Abgefahrenes, aber das dass hier die Wahrheit, meine erste Sympathiebekundung am Valentinstag, sein soll, ist mir unbegreiflich.
Ich wehre mich humanistisch emanzipiert: "Ali, ich kann nicht deine Mistress sein. Ich brauche keinen Sklaven, ich kann gerne fuer mich alleine putzen und au§erdem wohne ich im Hotel. Der Wunsch nach Erniedrigung anderer Menschen ist nicht in mir, auch wenn du dir wuenschst, dass ich dich als Hund sehe - habe ich zuviel Respekt vor anderen menschlichen Wesen, auch vor dir, als dass ich dich so behandeln koennte."
Ali: "Und wenn ich dir Geld gebe, viel Geld, tausende von Dollars? Ich flehe dich an, bitte! Du kommst aus Deutschland, mit dir kann ich offen reden, niemand hier versteht mich, ich mache alles fuer dich, ich bin nicht an Sex interessiert, glaube mir!"
Einen Scherz wollte ich noch probieren: "Wenn du einer dieser schrecklich reichen Libanesen waerest, dann koenntest du mich zum Shopping einladen und wenn deine Kreditkarte gluehen wuerde, dann waere ich weg. Waere das Erniedrigung genung?"
Ali: "Ja, lass uns shoppen gehen, ich gebe all mein Geld fuer dich aus - aber dann will ich dein Hund sein, Mistress Nana! Und du mu§t mich erniedrigen, ja, bitte?!"
Ich: "Ali, warum gehst du nicht zum Militaer? Da gibt es Erniedrigung genug."
Ali: "Es muss eine gro§e blonde Frau sein, so wie du."
Ich: "Ali, das kann ich nicht. Ich sehe, dass du nicht unendlich reich bist" (spaeter sollte er noch erzaehlen, dass er Nachtschichtleiter in einem guten Hotel ist und 2500 Dollar inklusive Trinkgeld verdient - genung fuer den Libanon, aber nicht genung, als dass ich dieser bemitleidenswerten Person auch nur einen Cent haette abknoepfen koennen). Und: "Fuer Dich waere es sexuell, und auch wenn es das fuer mich nicht waere, so wuerde ich mich doch prostituieren, das mache ich nicht. Bitte, Ali, geh ins Internet und finde dir eine Mistress, ich bin sicher, dass du in diesem verrueckten Land eine findest."
Ali: "Nein. Ich durchsuche das Internet seit Jahren. Das gibt es nicht im Libanon. Ich bin verzweifelt. Bitte la§ mich deine Schuhe kuessen, hier in der …ffentlichkeit, vor all dem Militaer und den Demonstanten. Mistress Nana, ich gebe dir 100 Dollar."
Mittlerweile sind wir kurz vor dem brodelnden Maertyrerplatz angelangt, die Sonne strahlt am Mittelmeer, hunderttausende Menschen, zig Flaggen, Hariri-Vater und Hariri-Sohn Poster: Friedliche-Revolution-meets-Fanmeilen-Nationbuilding = Lebanese Loveparade-Feeling, mit Vorsicht zu genie§en ("gespannte Lage"), aber Zweifels ohne mitrei§end.
Und ich komm da mit dem einzigen erstmals bekennenden unglaublich ungluecklichen unverstandenen sunnitischen Sklaven des Libanon an.
Als ich den aktiven Reporterinneneinsatz beginnen will - ich probierte eingangs, das Gespraech auf Politik und Religion zu lenken, doch Ali war an Politik "nicht interessiert", sage ich nach noch circa einhundert flehentlichen Bitten - ihm standen schon Traenen in den Augen und ich schwoere bei Allah, der Ali so schuf (bevor der Scheitan sich seiner Seele ermaechtigte?), ich fuehle nur reinstes, aufrechtes Mitgefuehl mit dieser armen unverstandenen Seele, die das Pech hatte, in Beirut und nicht in Berlin-Kreuzberg auf die Welt zu kommen :
"Obwohl ich mich schlecht dabei fuehle, denn du willst bestimmt hochschaftige spitze Lederstiefel mit noch hoeheren Metallabsaetzen kuessen" - seine traenenden Augen leuchteten bei diesen Worten - "das geht nicht, diese Modelle besitze ich nicht, und dann waere es fuer mich auch schon Prostitution, aber wenn du es dir so sehr wuenschst, dann kuesse hier meinen Schuh!"
Ich trage meine schlichten anstaendigen Ecco Bequemschuhe, die ich mir fuer meinen Undercover-Reporterinnenjob zur WM im Berliner Olympiastadion als VIP-Kellnerin zulegen musste.
Ali kniet nieder und gibt drei schuechterne Schmatzer aufs schwarze Leder.
Dann schie§t er auf wie ein Fu§ballspieler nach einem Tortreffer.
In den strahlenden Mittelmeerhimmel gereckte Haende, herzhaftes Lachen, Jubel.
Er bekam nicht einmal mit, dass niemand seinen kleinen Traum von Erniedrigung in der …ffentlichkeit mitbekommen hatte, denn alle anderen waren im Hariri-Nationbuilding-Rausch.
Die 100 Dollar nahm ich nicht.
Ich gab ihm meine Email, das Sujet ist zu interessant, ich mu§ es aus Internet-Distanz verfolgen.
Und bei so vielen Freaks, die ich hier im Libanon treffe - wer wei§ ob mir nicht noch eine unverstandene, verzweifelte, verkannte Domina ueber den Weg laeuft?
Ali trollt sich.
Endlich allein, denke ich, doch natuerlich zu Unrecht: jemand kramt den Anmach-Klassiker heraus, der mich verfolgt seit diese junge Amerikanerin das Rampenlicht der Welt erblickte, doch mittlerweile bin ich 33 und sie zweifache Mutter und ich verzichte gern darauf, diesen Vergleich zu hoeren:
"Hey, you look like Britney Spears!",
ich drehte mich zur Seite, schaue in ein paar gro§e braune Augen, ignoriere sein sympathisches Laecheln und beschlie§e, die naechsten Interviews dieses historischen Tages nur noch mit Frauen und Kindern zu fuehren.
(Siehe Artikel: "Wir sind viel zu international um uns ueber Religion zu streiten")
Posted by jaz at 14.02.07 23:44