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23.09.06
Bauchfrei eher nicht
Am Donnerstag stach in Wilhelmshaven der deutsche Unifil-Flottenverband gen Libanon in See. Was wissen die jungen Soldatinnen und Soldaten ueber Zweck und Ziel ihrer Reise? Ein Ortsbesuch
taz vom 23.9.2006, S. 18, 186 Z.
Wilhelmshaven, 22.9.2006
Die Nordsee glitzert im Sonnenschein, eine Brise weht durch den militaerischen Hafen von Wilhelmshaven. Die deutsche Unifil-Flotte, bestehend aus imposanten Fregatten, die die Namen der Bundeslaender tragen, liegen abfahrbereit neben Schnellbooten mit den putzigen Namen "Dachs" und "Nerz".
Der Verteidigungsminister schreitet einige hundert stramm stehende SoldatInnen in einer letzen Musterung ab, spricht von der "historischen Bedeutung" der Mission, und hofft, dass die deutsche Marine innerhalb der Unifil-Mission es schafft, "endlich Frieden im Nahen Osten" zu schaffen. Hinter den SoldatInnen stehen ihre Familien und Freunde: geruehrt, stolz - und beunruhigt. Hollywoodverdaechtig springen Kleinkinder ihren Vaetern in Offiziersdress ein letztes Mal in die Arme, Frauen in Uniform tauschen unter Traenen leidenschaftliche Abschiedkuesse mit ihren Freunden.
Rund 1.000 SoldatInnen liefen am Donnerstag aus, um den fragilen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hisbollah zu ueberwachen. Die Aufgabe ist klar definiert, und doch ist es fuer die Besatzung eine Fahrt ins Ungewisse. Noch wissen einige der SoldatInnen kaum mehr ueber ihre Mission, als die voraussichtliche Wetterlage im Golf von Biskaya.
Annelie Rohr, 22, Obermaat aus Leipzig, seit acht Monaten Zeitsoldatin auf dem Verbands-Fuehrungsschiff "Mecklenburg-Vorpommern" hat heute die Aufgabe der Vorzeigesoldatin fuer die Journalisten erhalten. Sie wollte wegen ihrer "Liebe zur See" und der "Sehnsucht nach Weite" schon immer zur Marine. Obwohl der Abmarschbefehl seit Wochen in der Luft lag, hat sie sich noch nicht mit den Besonderheiten des Libanons, seiner jungen Demokratie und seiner Religionsvielfalt auseinander gesetzt. "Wir haben Aushaenge auf den Booten, da kann man sich informieren", gibt sie etwas schuechtern zu. Sie wisse aber schon, dass man "da eher lange Sachen, nicht bauchfrei" tragen solle. Ansonsten laechelt Obermaat Rohr freundlich und professionell in die Kameras und wiederholt auch geduldig zum zehnten Mal, dass "man Sorge vor Anschlaegen hat", aber "so gut es nur geht" vorbereitet sei.
Sie arbeitet als eine von neun Frauen unter 209 Maennern auf ihrer Fregatte. "Natuerlich hat man es als Frau unter so vielen Maennern manchmal schwer", gibt sie zu, doch generell herrsche so ein "guter Teamgeist", dass geschlechterspezifische Problem nur selten auftraeten. Jetzt freut sie sich, dass die Wochen des Wartens vorbei seien und es losgeht. Dass sie ihr Privatleben auf einen Spind reduzieren muss, stoert sie nicht: "Wenn man mal kein Peeling hat, dann muss es auch ohne gehen." Natuerlich werde sie Freund und Familie vermissen, aber Internet und Mobiltelefon machen staendigen Kontakt moeglich.
Ein Stabsgefreiter, der ungenannt bleiben moechte, erzaehlt, dass viele Laptops mitnehmen wuerden und abends gern Online-Kriegsspiele wie "Counter Strike" und "World of Warcraft" spielen. Fuer seine Mutter beginnt jetzt das gro§e Bangen. Die freundliche, korpulente Dame, bewahrt Contenance, doch beim Sprechen zittert ihre Stimme. Zwar sei ihr Sohn schon am Horn von Afrika im Einsatz gewesen, doch "das war Urlaub im Vergleich zu dem, was jetzt ansteht", schildert sie auf Deck, auf das sie die Reporterin an Feldjaegern vorbeischmuggeln konnte. Denn Presse ist bei nicht extra gebrieften SoldatInnen unerwuenscht, und Eltern sollen gar nicht von der Presse belaestigt werden. Ihr in voller Montur auf dem Deck stehender Sohn versteckt seine Aufregung hinter laessigen Spruechen. "Wir wissen zwar wenig von dem Seegebiet und das auch nur aus Karten, aber wir haben die lange Fahrt zur Vorbereitung", sagt er. "Schoen waer's nur, wenn ich Weihnachten nach Hause kaeme. Schlie§lich war ich schon die letzten drei Jahre zum Fest auf See."
Bereits Mitte August sei fuer ihn klar gewesen, dass es bald losgehen wuerde, sagt er. Auch ohne Kabinetts- und Bundestagsbeschluss. "Wir wollten nach der Hanse-Sail in Rostock unsere Fregatte zur †berholung in die Werft bringen, doch dann hat der Artilleriewaffenmeister scharfe Flugkoerper fuer einen Einsatz bestellt." Nun freue sich auf die Tage auf hoher See und werde die Zeit genie§en, die das Team braucht, um sich einzuspielen. "Und wenn wir dann erst mal im Libanon sind, beginnt der Arbeitsalltag und die Aufregung verschwindet."
Um den hoch gewachsenen, eloquenten jungen Mann, der laessig an einer Zigarette zieht, stehen seine Eltern und seine drei besten Freundinnen herum. Der Mutter merkt man den Stress der letzten Wochen und die Aussicht auf bevorstehende bange Monate an. Ob sie stolz sei auf ihren Sohn, der einen festen Job habe, Frieden und Demokratie in der Welt verteidige und mit Auslands-etc.-Zulagen immerhin 1.800 Euro verdiene? Jetzt laechelt sie ein wenig. "Ich muss mir immer Sorgen um ihn machen. Aber dass mein Junge seinen Berufstraum leben kann, macht mich ein bisschen froh."
Die ersten Hoerner toenen. Die Besatzung geht zackig an Bord, kurz darauf legen die Schiffe im Verband langsam ab. Musik erklingt. Fuer jedes Schiff des Flottenverbands stimmt die Militaerkapelle "Muss i' denn, muss i' denn zum Staedele hinaus" an. Die SoldatInnen winken, breitbeinig auf ihren Decks stehend, ein paar Pfiffe gellen. Muetter, Freunde und Angehoerige weinen und selbst die hartgesottensten Journalisten winken energisch und pfeifen zurueck. Aufgrund der ergreifenden Dramaturgie, der Jugend der Akteure - das Durchschnittsalter liegt unter 30 - und der Ungewissheit der Mission haben nicht nur die Angehoerigen Traenen in den Augen.
Posted by jaz at 23.09.06 23:28