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9.06.06
Visum fuer die Reise ins Paradies
Wie zwanzig palaestinensische Muslime aus Syrien in den Irak zogen und nur einer zurueckkehrte
Erschienen in Le Monde Diplomatique am 09.06.06
Zum Empfang servierte Zahra, die Ehefrau des Mudschahid, rote Goetterspeise mit Erdbeeren und Tee. Dann blieb sie stundenlang allein in der Kueche. Ihr Mann will sie lieber nicht mit seinen Geschichten belasten. Sie ist seit zwei Jahren mit dem 30-jaehrigen Palaestinenser Chalid verheiratet. Chalid betreibt eine bescheidene Haehnchenbraterei in Jarmuk, dem groe§ten palaestinensischen Fluechtlingslager von Damaskus, gelegentlich verdient er sein Geld auch als Stukkateur und Elektriker.
Jarmuk besteht seit 1957, Chalid wurde hier geboren. Es ist heute ein Vorort mit 110 000 Einwohnern innerhalb der Stadtgrenzen von Damaskus. Er hat Palaestina noch nie gesehen.
Chalid aus Jarmuk hat als Einziger aus seiner Einheit den Hubschrauberangriff ueberlebt, den die US-Armee im Irak gegen seine Gruppe flog. Das war vor drei Jahren, und sie waren 20 Mann, alles junge Palaestinenser, darunter Nachbarn und sein juengster Bruder, und sie hatten gerade ihre vierten Anschlag hinter sich. Es ist fuer Chalid nicht einfach, das Durchlebte zu verarbeiten.
In den Stra§en von Jarmuk haengen palaestinensische Flaggen, an den Waenden gro§formatige Portraets von Jassir Arafat und Scheich Jassin, aber kein einziges der sonst im Stra§enbild allgegenwaertigen Bilder des syrischen Staatschefs Baschar al-Assad. Der Kontaktmann fuehrt mich durch die verwinkelten Stra§en Jarmuks zur versteckt gelegenen Wohnung.
Als wir in das Wohnzimmer eintreten, begrue§t Chalid uns freundlich, aber ohne mir die Hand zu geben. Auch im weiteren Verlauf des Gespraechs schaut er mir nicht ein einziges Mal ins Gesicht. Offensichtlich nimmt er die Vorschriften sehr ernst, an die er sich als strengglaeubiger, verheirateter Muslim zu halten hat.
Nach einem laut und deutlich gesprochenen Bismillah, dem islamischen Glaubensbekenntnis, beginnt er, in einem elegantem Hocharabisch langsam zu erzaehlen. Ein Freund, der auch im Irak kaempfte, sei kuerzlich verschwunden. Er muss nicht verraten worden sein. Da die Reise in den Krieg von seiner Moschee in Kooperation mit dem syrischen Regime organisiert wurde, kann es auch gut sein, dass die Geheimdienste einfach die Visumantraege durchforstet haben, die alle jungen Freiwilligen in gutem Glauben an die richtige Sache ausgefuellt hatten.
Eine Woche spaeter bekam die Mutter seines Freundes einen Anruf: Sie koenne ihren Sohn abholen. Sie fand ihn, wie telefonisch angekuendigt, auf der Stra§e vor einem Buero des staatlichen Sicherheitsdienstes, in einer roh gezimmerten Kiste, tot und misshandelt. Auch deshalb will Chalid seine Geschichte einmal vollstaendig erzaehlen und niedergeschrieben haben: Er muss davon ausgehen, ebenfalls in Kuerze gefasst zu werden.
Entgegen anders lautenden Geruechten, sagt Chalid, sei es heutzutage unmoeglich, von Syrien aus in den Irak zu gelangen. Die gesamte Grenze sei mittlerweile zu einer zwei Kilometer breiten Sperrzone ausgebaut. Die US-Soldaten auf der irakischen Seite zoegern nicht, bei Annaeherung scharf zu schie§en. Chalid ist ueberzeugt: Allenfalls ueber Jordanien gelangen Freiwillige derzeit noch in den Irak. Er wei§ von kampfbereiten Maennern zu berichten, die viele hundert Kilometer durch die Wueste zu Fu§ zurueckgelegt haben.
Fuer Chalid kam die Berufung im Maerz 2003. Am Vorabend der US-Invasion riefen die Imame in der Moschee dazu auf, die arabische Erde gegen die Unglaeubigen zu verteidigen. Da spuerte er, obwohl als aeltester Sohn fuer das Wohl der Familie verantwortlich, seine religioese Pflicht, diesem Ruf Folge zu leisten. Die Notwendigkeit des Kaempfens gegen die US-Invasion, die sah er ein. Drei Tage vor dem Einmarsch der US-Truppen, es war ein Montag, er wei§ es noch genau, traf er sich mit einigen hundert kampfbereiten Glaeubigen vor der irakischen Botschaft. Sie bekamen Visa ausgestellt und fuhren in mehreren, von der syrischen Regierung gestellten Reisebussen in zehn Stunden bis zur Grenze und dann weiter durch den ganzen Irak bis in der Naehe der Stadt al-Kut in der Provinz Wasit.
Es war Chalids erste Auslandsreise
Sie waren zwanzig Mann, die meisten Freunde und Nachbarn, mit denen er Fu§ball spielend auf den Stra§en des Lagers aufgewachsen war, aber auch einige Cousins und sein kleiner Bruder. Im Irak schliefen sie in Verstecken, zunaechst im Freien, und nachdem die Einwohner vor den naeher rueckenden US-Truppen geflohen waren, in leer stehenden Schulen.
Es war die erste Auslandsreise eines jungen Mannes, der bis dahin noch bei seiner Mutter gewohnt hatte. Und der eine handwerklich-kuenstlerische Ausbildung genie§en durfte, wie seine kunstvoll gestalteten, mit geschwungenen Boegen und eingelassenen Lichtern dekorierten Zimmerdecken bezeugen.
Chalid machte den Eindruck, als hoffe er, bei einem harmlosen Menschen aus Europa sein Redebeduerfnis stillen zu koennen. Denn weder seinen Freunden noch dem Imam kann er seine Erlebnisse anvertrauen. Seine Frau will er nicht belasten - nicht nur um ihre Psyche zu schuetzen, er will sie auch vor der Folter durch die Sicherheitsdienste bewahren. Von den USA dazu gedraengt, durchkaemmt der krakenartig verzweigte syrische Geheimdienst Muhabarat derzeit die Reihen derer, die zu Beginn der US-amerikanischen Invasion freiwillig, auf Draengen ihrer Imame und mit staatlicher Unterstuetzung in den Krieg zogen.
An das Einzige, was ihm tatsaechlich helfen koennte, eine intensive psychologische Betreuung, ist natuerlich nicht zu denken. Und das oeffentliche Sprechen ueber seine inneren Schmerzen wuerde ihn den Kopf kosten.
In den ersten Tagen des Krieges konnten die Mudschaheddin im Irak problemlos Waffen und Sprengstoff organisieren. Wenn sie in sunnitischen Gegenden campierten, schenkten oder verkauften die Einheimischen den Gast-Gotteskriegern jede Art von Kriegsmaterial, spaeter erbeuteten sie ihren Bedarf mit †berfaellen auf US-Fahrzeuge. Noch heute kann man in den Souvenirlaeden von Damaskus unter dem Ladentisch allerlei Devotionalien erwerben, die aus der Beute der Mudschaheddin stammen: US-Rangabzeichen fuer Gefreite im Zwanzigerpack, noch original versiegelt, oder goldglaenzende, massive Erkennungsmarken, die den Traeger als Mitglied der irakischen Sicherheitskraefte ausweisen.
Den ersten seiner unerfahrenen Kampfgefaehrten verlor Chalid, noch ehe sie ihren ersten Anschlag ausfuehren konnten. Er wurde entfuehrt. Chalid und seine Kameraden waren alle unverheiratete Maenner um die zwanzig, die in der Heimat noch bei ihren Familien wohnten. Im Irak lebten sie von ihren Ersparnissen und von Spenden, die sie von Moscheen oder den Teilen der Bevoelkerung erhielten, bei denen sie als Widerstandskaempfer willkommen waren. Doch viele schiitische Iraker, die so lange die Unterdrueckung des Saddam-Regimes durchlitten hatten, zeigten sich kurz nach dem Sturz Saddams sehr froh ueber die Anwesenheit der US-Armee und verrieten den Soldaten die Verstecke der Mudschaheddin. Dafuer wurden sie mit 2 000 Dollar belohnt.
Einer von Chalids Mitstreitern verschwand aus dem Souk und wurde nie wieder gesehen. Von da an lagerten sie in der Schule nur noch ihr Material, waehrend sie selbst versteckt im Freien schliefen. Informationen oder Anweisungen gab es fuer Chalids Gruppe, aber auch fuer die anderen sich selbst organisierenden und autonom operierenden Mudschaheddin-Gruppen weder ueber Funktelefon noch ueber Internet. Vielmehr schwaermten Spaeher und Kuriere ueber die Doerfer aus und verbreiteten in den Schulquartieren und Moscheen ihre Informationen ueber das Vorruecken der US-Armee und den aktuellen Frontverlauf. Chalid erzaehlt fast schwaermerisch von den ersten Tagen, wie jeder Kriegsveteran auf dieser Welt, der von der neuen, aufregenden Zeit im Maennerbund berichtet, noch immer fasziniert vom Zusammenhalt im Untergrund, der auf der gemeinsam verbrachten Jugend beruhte, auf gemeinsamen Idealen, den gemeinsamen Mahlzeiten, dem gemeinsamen Beten. Auf gemeinsam erlebten Adrenalinschueben.
Als Chalid von der ersten Operation berichtet, fuer die er das arabische Wort amal benutzt (das man mit "Tun, Handeln, Wirken, Leistung, Ausfuehrung", aber auch mit "militaerische Operation" uebersetzen kann), springt der schmale, drahtige Mann auf und holt aus dem Nebenzimmer eine Plastiktuete. Darin eine schwarze Wollmuetze, in die Augenloecher geschnitten sind, ein blut- und sandverkrusteter schwarzer Overall, ein Schulterguertel aus dickem Armeestoff mit Faechern fuer Sprengstoff.
Mit fast kindlicher Begeisterung legt Chalid den Guertel um und beginnt zu erklaeren, was in welchem Fach zu verstauen war. Dann zieht er ein in Plastikfolie eingeschwei§tes Saddam-Hussein-Poster aus der Tuete, auf dessen Rueckseite er in ordentlicher arabischer Handschrift sein Testament aufgeschrieben hat, und ploetzlich schie§en ihm die Traenen in die Augen. Da niemand in seiner Gruppe Papier bei sich hatte, musste er es auf einem von der Wand gerissenen Saddam-Poster verfassen, als er spuerte, dass sein Leben in Gefahr war. Vor ihrer ersten Operation hatte er den Gro§teil seiner Besitztuemer seinem achtzehnjaehrigen Bruder ueberschrieben. Es war ein †berfall auf einen Waffentransport, der erste von vier Anschlaegen auf US-Konvois, bei denen nach Chalids Angaben mindestens 25 US-Soldaten getoetet wurden, aber nicht nur sie. "Dass mein kleiner Bruder sterben musste "
Said sei mit einem Laecheln gestorben
Chalid bricht schluchzend in Traenen aus. Eine Zigarette, und er hat sich wieder so weit gefangen, dass er das anstehende Gebet beginnen kann. Mit voller Stimme singt er, wie es nur sehr fromme Muslime vermoegen, die die Kunst der Koranrezitation vollendet beherrschen, und die Anwesenheit der Fremden scheint ihn dabei nicht zu stoeren.
Als Chalid von dem ersten, gelungenen Anschlag berichtet, ist er wieder ganz der stolze Kriegsveteran. Mit neu erwachtem Eifer berichtet er, wie seine Gruppe in Verstecken auf die herannahenden US-Fahrzeuge warteten, wie sie die Stra§en praeparierten oder Hinterhalte legten, aus denen sie auf die US-Soldaten feuerten, die doch so "dumm" seien und "feige wie Frauen" geschrien haetten. Doch nach den ersten Erfolgen kam die erste Enttaeuschung, als irakische Kaempfer, die sich seiner Gruppe anschlie§en wollten, nicht zum Training, geschweige denn zu den verabredeten Aktionen erschienen.
Nach dem Abklingen der gro§en Sandstuerme und nachdem die US-Armee die Kontrolle ueber Bagdad gewonnen hatte, wurde die Lage fuer die Mudschaheddin im Osten des Landes immer schwieriger. Die US-Armee begann, die Stra§en, ueber die sie ihre Konvois schickte, mit Hubschraubern zu sichern. Unmittelbar nach der dritten Attacke der Krieger aus Jarmuk tauchten ueber ihren Positionen die Apache-Helikopter auf und deckten sie mit Maschinengewehrsalven ein. Nicht einmal die Haelfte von Chalids Gruppe ueberlebte. Als er am Tag danach zurueckkehrte, fand er den durchsiebten Leichnam seines 25-jaehrigen Nachbarn, mit dem er aufgewachsen war. Der Koerper seines Freundes Said sei immer noch warm gewesen, versichert er und schwoert bei Gott, Said sei "mit einem strahlenden Laecheln auf den Lippen gestorben", weil ja "keine Seele stirbt, wenn es nicht von Gott bestimmt ist". Chalid nimmt seinen Kampfanzug in die Hand, streicht ueber das verkrustete Blut. Er hat damals Said zurueck ins Camp geschleppt, hat ihn begraben. Schluchzend beginnt er zu zittern. Dann bricht er in Weinen aus, kurz und bitterlich. Zigarettenpause.
"Was die Amerikaner machen, ist noch viel schlimmer." Als wolle er Saids Tod vor sich selbst rechtfertigen, spricht Chalid ueber Berichte aus irakischen Frauengefaengnissen. Im Internet soll es ein Video geben, in dem eine irakische ehemalige Gefangene berichtet, wie US-Soldaten muslimische Frauen vergewaltigen. Das Internet scheint Chalid gut zu kennen, obwohl er aus Angst vor †berwachung keine E-Mail-Adresse besitzt. Auf einmal beginnt er, mit uns ueber Kriegsvideos zu plaudern, die man herunterladen koenne. Ob ich schon Tschetschenien kenne, dass sei ja das Brutalste, da wuerden Koepfe rollen, er habe aber auch CD-Aufnahmen von gelungenen Operationen aus dem Irak, aus Palaestina und auch aus Afghanistan. Wieder bricht eine fast kindliche Begeisterung aus ihm heraus. Er kenne hunderte islamische Propagandavideos, er koenne sie mir alle brennen, damit ich sehe - und andere Europaeer auch -, was die Imperialisten aus aller Welt mit den Muslimen anstellen. Und natuerlich, wie es ihnen die internationalen Mudschaheddin heimzahlen: mit Erschie§en, mit Kopfabschneiden.
Als ich vorsichtig frage, warum Chalid, der immer noch fuer die Sache zu brennen scheint, sich schon im Sommer des ersten Kriegsjahres entschlossen hat, nach Syrien zurueckzukehren, wird er wieder sehr ernst. "Von uns zwanzig war ich nach der vierten Operation als Einziger noch uebrig." Als sein sieben Jahre juengerer Bruder durch das MG-Feuer aus dem Apache-Hubschrauber gefallen war, wurde Chalid sich wieder seiner islamischen Verantwortung als aeltester Sohn der Familie bewusst, der fuer seine Eltern sorgen musste. Er versuchte, den Koran anders auszulegen, um eine Legitimation fuer seinen persoenlichen Rueckzug aus dem heiligen Krieg zu finden. Au§erdem wurde es im Irak fuer Auslaender absurd gefaehrlich - lokaler Entfuehrungsterror. Er kam zu dem Schluss, dass es von nun an besser sei, sich seiner Verwandtschaft zu widmen und eine eigene Familie zu gruenden. Und so machte sich Chalid im Spaetsommer 2003 per Minibus und Taxi auf den Rueckweg nach Syrien. Im Fruehjahr 2004 heiratete er dort Zarah, eine junge, strengglaeubige Palaestinenserin aus Jarmuk, die wie er selbst Palaestina nur aus Erzaehlungen der Alten kennt.
Auf die Frage, ob er denn wolle, dass seine Soehne einmal in den Krieg ziehen, schuettelt er energisch den Kopf und lacht befreit. Nein, fuer ihn sei der Krieg vorbei, jetzt trage er eine wichtige Verantwortung, fuer das Wohl seiner Frau und - insha Allah - der noch kommenden Kinder. Und die wuerde er davon abhalten, in den Krieg zu ziehen.
Chalids Mutter wei§ bis zum heutigen Tag nicht, dass ihr juengster Sohn bereits seit drei Jahren tot ist. Chalid erzaehlt ihr, dass der Bruder im Ausland studiert. Er beginnt wieder zu schluchzen. Der Gotteskrieger hat noch nicht den Mut aufgebracht, die drei Worte auszusprechen, die seiner Mutter das Herz brechen wuerden.
© "Le Monde diplomatique, Berlin
Le Monde diplomatique Nr. 7991 vom 9.6.2006, Seite 11, 404 Dokumentation
Posted by jaz at 9.06.06 10:33