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29.04.06
DIE RUSSINNEN VON DAMASKUS - "Do you want to have some fun?"
Offiziell ist Prostitution in Syrien verboten - doch in der Hauptstadt Damaskus boomt das Geschaeft mit der kaeuflichen Liebe. Vor allem aus dem frueheren Ostblock sind tausende Maedchen eingereist, um hier ans schnelle Geld zu kommen. Nun bekommen sie Konkurrenz aus dem Irak.
SPIEGEL ONLINE
29. April 2006
Wenn sich die Nacht ueber Damaskus, der aeltesten kontinuierlich bewohnten Stadt der Welt senkt, treten der arabische Sozialismus und seine offiziellen Ordnungshueter, bestehend aus Polizei und zahlreichen Geheimdiensten, in den Hintergrund. Jedem maennlichen Auslaender, der nach Einbruch der Dunkelheit ueber den zentralen Platz von Damaskus, den Maertyrerplatz, spaziert, wird von einem syrischen Schlepper mit einem Augenzwinkern "Fun" angeboten. "Wir haben alles im Angebot - es ist nur Deine Sache, wie viel Du ausgeben willst" geht der Vermittler sofort in die Verhandlungen. Damit spielt er auf das gro§e internationale Angebot von illegalen Prostituierten an, vor denen das offizielle Syrien des Baschar al-Assad die Augen gekonnt zu schlie§en wei§.
Schon zur Regierungszeit von Baschars Vater, Hafez, gab es hier Prostitution - allerdings verkauften damals fast ausschlie§lich Somalierinnen, Marokkanerinnen und Palaestinenserinnen aus einem der zehn offiziellen oder einem der drei inoffiziellen Fluechtlingslager Syriens ihre Koerper.
Um eine dieser Prostituierten zu treffen, musste man dem Schlepper in verfallene Wohnungen am Stadtrand von Damaskus folgen und sich als Freier - besonders am Wochenende - zunaechst in ein Wartezimmer begeben.
Auch heute noch gibt es diese Art des "Business". Ein Manager teilt die Arbeitszeit der auf schaebigen Matratzen im Nebenzimmer arbeitenden Frauen ein. Zwanzig Minuten sind in diesen Etablissements ab zehn Dollar zu haben. Kondome sind bei den Damen manchmal, auf Anfrage, fuer rund zwei Dollar zu erwerben.
Von der Familie geaechtet
Die Englischlehrerin Roula Nazrallah, 25, die minderjaehrige, aussteigewillige palaestinensische Prostituierte im Kloster "Good Shepard" in der christlichen Altstadt von Damaskus betreute und unterrichtete, wei§ aus vielen Gespraechen, dass weit ueber die Haelfte in ihrer Kindheit von Familienangehoerigen sexuell missbraucht worden sind. Das katholische Konvent bietet Aussteigerinnen die Chance auf kostenlose Bildung und arrangiert Ausbildungsplaetze in Goldschmieden oder Seidennaehereien fuer die von ihren Familien geaechteten Maedchen, die statt familiaerem Rueckhalt nur der Rachetod fuer die Schande, die sie ueber die Familie gebracht haben, erwarten koennen.
Seit der …ffnung der Sowjetunion aber hat das aelteste Gewerbe der Welt auch in Syrien eine neue Dimension erreicht. Knapp volljaehrige, unverbrauchte Dienstleisterinnen kommen aus Russland, Wei§russland oder der Ukraine per Schlepperorganisation und auch in eigener Regie mit dem Schiff von Odessa ueber die Tuerkei in die syrische Hauptstadt und nach Aleppo. Da es offiziell keine Prostitution in Syrien gibt, gibt es auch keine offizielle Statistik. Doch es muessen tausende Maedchen aus dem Ostblock sein, die allnaechtlich in den rund 120 Damaszener "Night Clubs" in ihrer Profession als "Ballet-Cabaret"-Taenzerinnen arbeiten.
Fuer rund zehn Dollar Eintritt darf man einen Blick in die Rotlichtwelt des arabischen Sozialismus werfen. Die "Taenzerinnen" sitzen Wodka oder Whiskey trinkend gelangweilt an der Bar und warten, dass der Manager des Etablissements alle halbe Stunde in die Haende klatscht und sie auf die Tanzflaeche treibt. Nachdem die stark geschminkten Maedchen ihre in knappe Kleidung gehuellte Koerper praesentiert haben, werden sie von den interessierten Freiern an deren Tische gebeten.
Job im "Ballet-Cabaret"
Die 22-jaehrige Prostituierte Ana aus der Ukraine gibt stolz an, nur in die eigene Tasche zu wirtschaften. Sie erzaehlt, wie sie zunaechst mit ihrer Cousine und einigen Freundinnen in der Tuerkei gearbeitet hat - drei Monate mit Touristenvisum. Nach Ablauf der drei Monate versuchten die Maedchen mit einem "Business"-Visum in der als "Ballet-Cabaret" umschriebenen Branche zu arbeiten. Als die tuerkische Polizei sie und ihre Clique nach einer Razzia auswiesen, erdachten sich die Prostituierten Syrien als neue Wirkungsstaette.
Die Preise in Syrien seien leider nicht so gut wie in der Tuerkei, berichtet Ana mit traurigem Blick. Konnte sie in der Tuerkei noch rund hundert Dollar pro Kunden verlangen und wurde sie manchmal sogar in Euro, der zweiten Waehrung der Tuerkei, bezahlt, so koenne sie hier fuer einmaligen Geschlechtsverkehr nur rund zwanzig Dollar verlangen. Zudem verduerben die irakischen Konkurrentinnen, die seit Kriegsausbruch zu Tausenden gefluechtet seien, die Preise.
†ber Aids wissen sie und ihre Kolleginnen nur, dass es eine Krankheit von Drogensuechtigen sei. Sie benutze niemals beim Sex Kondome, denn das wollten die Freier ohnehin nicht und die Pille sei in Syrien frei verkaeuflich. Dass sie ihr schaebiges Hotel direkt im Stadtzentrum am Maertyrerplatz nur drei Stunden pro Tag verlassen duerfe, findet sie nicht weiter verwunderlich. "So wie es in Deutschland Gesetze gibt, gibt es hier Regeln. Und die uns betreffende Regel ist einfach, dass wir bei Tageslicht das Hotel zu privaten Zwecken nicht verlassen duerfen." Ihre Mutter im ukrainischen Dorf wisse ueber alles Bescheid und freue sich ueber die dringend benoetigte monatliche Geldsendung.
"Die Irakerinnen verderben die Preise"
Seit dem Beginn des Irak-Krieges sind tausende Sex-Arbeiterinnen aus dem benachbarten Irak gefluechtet. Viele haben als Wirkungsstaette vor allem die Nachtbar des internationalen Vier-Sterne-Hotels "Le Meridien" erobert und die Russinnen hier verdraengt. Obwohl Prostitution faktisch nicht vorhanden ist und in Syrien unter hoher Strafe steht (bis zu sechs Jahren Gefaengnis und eine Geldstrafe), drueckt der Sicherheitsdienst des Hotels beide Augen zu, wenn nachts Hotelgaeste mit einschlaegigen Begleiterinnen auf ihr Zimmer gehen. "Der staatliche Sicherheitsdienst kassiert die Damen naemlich noch mal ab", wei§ ein Insider der Branche, der ungenannt bleiben moechte, zu berichten.
Das einzige Fuenf-Sterne-Hotel Syriens, das kuerzlich eroeffnete Four Seasons, beachtet laut Generaldirektor Markus Iseli, 44, als einziges Haus der gehobenen Klasse strenge Sicherheitsma§nahmen nach internationalem Standard. In der Bar und den Restaurants seines Hotels sind keine Damen auf der Suche nach Kundschaft zu finden. "Mittlerweile", erklaert der Schweizer mit einem Laecheln, "hat es sich bei den Damen wohl herumgesprochen, dass man es bei uns gar nicht erst versuchen darf."
Trotzdem muss der an Luxus interessierte Sextourist in Damaskus nicht darben. Seit Jahrzehnten mieten sich reiche Saudis den Sommer ueber in geraeumigen Wohnungen in Damaskus und Beirut ein, um der Wuestenhitze und den strengen Gesetzen im eigenen Land zu entfliehen.
Erfuellung aller Wuensche
Bei der Damaszener Immobilienagentur "Ak-Kaarai" mieten vor allem Saudis "Apartments mit Hausmaedchen", die sich dann um die Erfuellung aller Wuensche kuemmern und bei Nichtgefallen von der Agentur ausgewechselt werden. Zu den Aufgaben des Hausmaedchens gehoert auch die Organisation von dienstbaren Kolleginnen rund um die Uhr.
Ein "Einsatz" wird normalerweise mit zwanzig Dollar berechnet, und "die ganze Nacht gibt es fuer hundert Dollar" erklaert leise ein Mitarbeiter der Agentur, der ungenannt bleiben moechte. Er beschreibt das Prozedere: Kurz nachdem der Auftrag die Damen auf ihrem Mobiltelefon erreicht, kommen diese per Taxi ins Apartment. Da der staatliche Sicherheitsdienst tagsueber, solange die europaeischen Kulturtouristen den Charme der sechstausend Jahre alten Stadt genie§en, wachsam ist, verhuellen sich die Damen aus dem aeltesten Gewerbe der Welt zum "Special Room Service" unter Kopftuch und dem traditionellen, schwarzen islamischem Gewand.
Posted by jaz at 29.04.06 8:02