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12.11.05
Arabisch fuer Anfaenger
Buchstaben von rechts nach links lesen? Verwirrend. Dazu der von Europaeern gerne mal als unschoen empfundene Sound: "chrlalachlarchr"? Arabischer Spracherwerb - eine Herausforderung
"Die ersten zehn Jahre sind die schwersten"
Internetforum Sprachanfaenger
Ein Leben wie James Bond, dabei durch Sprach- und Kulturverstaendnis die Welt vor Attentaten durch Islamisten schuetzen. Kulturverstaendigend wirken, sich fuer Menschen- und Frauenrechte einsetzen. Das Studium der Trendsprache Arabisch macht es moeglich? Seit 9/11 hat sich der Zulauf an den Universitaeten verdoppelt. Die fixe Idee von Weltbewegendem oder Exotischem - beim BND oder einer NGO arbeiten zu koennen, im geheimnisvollen Orient, mit interessanten Menschen, abwechslungsreich und aufregend - motiviert zum Studium.
Aber auch: dem Mythos des versunkenen Orients auf die Schliche kommen, die dichte Poesie entschluesseln, eine 1.500 Jahre alte gesprochene Sprache zu lernen. Von Beduinen unter Wuestenhimmel Legenden erfahren: Das war, was meine Kommilitonen in den Sprachkurs "Modernes Hocharabisch" trieb. Allerdings absolut nicht das, was uns erwartete.
Der Dozent, Dr. Wolf-Dietrich Fromm, hat uns, seine zahlenmae§ig rasch schwindende Studentenschar, von Anbeginn an hochgetunt wie Mastkueken der arabischen Sprache. So sehr, dass einige schon nach kurzer Zeit in gebrochenem Arabisch traeumten.
"Konzentrieren Sie sich in den naechsten zwei Jahren auf den Spracherwerb", hie§ es eingangs. Arabisch lernen als oberste Prioritaet. Jeden Morgen, 8.30 Uhr, FU Berlin-Dahlem: Anderthalb Stunden taeglich bereitet uns der Kurs auf das "Arabicum" vor. Das Tempo ist atemberaubend; nach blo§ drei Fehlstunden findet man keinen Anschluss mehr an den Lehrstoff.
Im ersten Jahr fielen rund vierzig der urspruenglich etwa hundert Teilnehmer vom Kurs ab. Der trockene Kommentar des Dozenten: "Jeder, der wegbleibt, ist mir willkommen."
Ich bin dabei, weil ich es nicht mehr ertrug, in Arabien zur Analphabetin zu regredieren. Auch, weil es als Journalistin nicht schlecht sein kann, diese von 400 Millionen Menschen gesprochene Sprache zu verstehen. Wie bei vielen meiner Kommilitoninnen spielen zudem Reisen in den Orient und einer dieser Wuestenprinzen mit gro§en schwarzen Augen eine Rolle. Als ich ihn, den Palaestinenser, einst in Jordanien mit Familienmitgliedern beten hoerte, staunte ich: Arabisch, das ich bislang vor allem als "chrlalachlarchr" gehoert habe, geht auch edel. Wohlklingend, rhythmisch, die Melodie fein modulierend, wie auf den Koran-CDs, auf denen sanfte Maennerstimmen die sonderbar fremden Ewigworte zelebrieren.
Manche maennlichen Kommilitonen folgen eher der vagen "James-Bond/ UNO-Kofi/Peter-Scholl-Latour-beerben"-Berufsidee. Muttersprachler waehlen die Uni, um ihren Dialekt aufzupolieren, und seit einigen Jahren finden regelmae§ig auch israelische Staatsangehoerige den Weg in die Kurse.
Fachfremde fragen meist unglaeubig und mit bedauerndem Blick, ob es denn nicht "sehr schwer" sei, diese Schrift zu entziffern. Natuerlich, die ersten zwei Wochen - aber dann ist gestottertes Lesen mit falscher Vokalverteilung moeglich. Um den gemeinsten Trick des Schriftarabischen zu nennen (fuer Kenner der semitischen Sprachen nichts Neues): Kurze Vokale werden nicht, oder nur fuer Lernanfaenger und im Koran, geschrieben. Doch macht die Verteilung der kurzen Vokale oft den Sinn aus! Vom Leser wird vorausgesetzt, dass er die angeordneten Grapheme, die kleinsten funktionalen Einheiten des Schriftsystems und die moeglichen Bedeutungen ihrer Kombination so verinnerlicht hat, dass er den Wortsinn auch ohne kurze Vokale versteht.
Dem Lernenden werden durch die kleinen Zusatzzeichen, den Taschkil, die Positionen der kurzen Vokale und einer Buchstabendopplung, die ebenfalls oft sinnentscheidend ist, vermittelt. Anhand der Satzstellung und des Kontextes kann der flei§ige Student dann zumindest die bereits fest gespeicherten Graphemgebilde erkennen. Mohammed hei§t in Landesschrift ganz einfach: MHMD. Eine Steno-Schriftsprache, aus der man nach festgelegten Schemata unbegrenzt viele, oft auch nicht direkt ins Deutsche zu uebersetzende Worte kreieren kann.
Ein kleiner Versuch, das arabische System in lateinischen Buchstaben darzustellen: HEUTE GEHE ICH SCHWIMMEN. Zunaechst nehmen wir die kurzen Vokale weg: HEUT GEH ICH SCHWMMN.
Dann benutzen wir ein Dopplungszeichen (+), damit wir nicht zweimal M schreiben muessen: HEUT GEH ICH SCHWM+N. Jetzt drehen wir den Satz um und lesen von rechts nach links, diesmal schon ohne das Doppelungszeichen: NMWHCS HCI HEG TUEH <-. Jetzt schreiben wir auch wie die Araber den letzten Buchstaben gro§. Versuchen Sie, diesen Text nach dem neuen Schema zu lesen: Nsel Uz Mehcs Nuen Md Hcan Txt Nseid, Eis Nhcusrv <-.
Hohe Analphabetenraten sind in arabischen Laendern normal, aber auch deshalb, weil jede Region ihre eigenen Dialekte und umgangssprachlichen Vokabeln hat, die mit dem anspruchsvollen, in Schule und Universitaet gesprochenen Hocharabisch nicht im geringsten verwandt sein muessen. Wer sich Zeit nimmt, die Buchstaben immer wieder zu schreiben, ganz wie in allen anderen Alphabetisierungskursen der Welt, dem faellt die Rechts-links-Schreibrichtung bald leicht. Dass die Grapheme ihre Form aendern, je nach Position im Wort, und dass ein Wort mit einem Gro§buchstaben endet, sind leicht zu bewaeltigende Lernaufgaben.
Wer nach einem Monat noch das Transkriptionsblatt der Alphabete braucht, riskiert, Zielscheibe eines frechen Spruchs des Dozenten zu werden. ("Wie, Sie koennen immer noch nicht lesen? Lernen Sie doch besser eine andere Sprache.")
"Der NC ist die Sprache selber", wird er uns noch einige Male mitteilen und dabei nicht muede werden, auch nach hundert Unterrichtsstunden die korrekte Aussprache einzelner Buchstaben abzupruefen. Natuerlich ist er ueber die Groe§e der zwei Kurse, auf 30 Studenten reduziert, nicht gluecklich. Immer noch zu viele. Wie so oft, fehlen auch hier die finanziellen Mittel, um eine weitere Lehrkraft einzustellen. Die Gelder sind dem gesteigerten Zulauf nicht angepasst worden.
Die meisten einzelnen Buchstaben klingen im Arabischen aehnlich wie im Deutschen. Doch ein paar haben es in sich: Das arabische Qaf, "ein durch Druecken des hinteren Zungenrueckens gegen den weichen Gaumen erzeugtes dumpfes Q", und das "Ain", ein direkt aus dem Kehlkopf gewuergter Laut, machen Probleme. Aber den Arabern auch, weshalb in einigen Dialekten diese Laute gar nicht gesprochen werden. Ebenso wie die sechs verschiedenen Grapheme, die das Arabische fuer feine Abstimmungen zwischen moeglichen "S"-Aussprachevarianten hat. Vom englischen "th" ueber eine Mischung aus dumpfem "d-th" bis hin zum weichen "z". Das vermeintlich typische "chra" ist nur ein Buchstabe; bislang habe ich nicht verstehen koennen, wieso beim Stra§enarabisch immer dieser Laut hervorsticht. Dennoch: alles lernbar in einem Monat. Sprach-CD und High-Tech-Online-Lernprogramm haemmern die woechentlichen fuenfzig bis achtzig Vokabeln ein. Englisch, Spanisch: Kein Vergleich. Von der Schwierigkeit her soll es dem Russischen nahe kommen. Nach Worten wie "Haus" und "Brot" lernen wir schnell "Diskussion", und "Konferenz". Eselsbruecken muessen an den Haaren herbeigezogen werden. Endlich hilft Latein nicht weiter.
Ein Kommilitone - er kommt aus Ostdeutschland und spricht Akzent (auch sein Arabisch ist brandenburgisch gefaerbt) - versteht nichts von dem, was ich verzueckt in den Sound hinein interpretiere. Er will Terroristen jagen. Aber da macht uns Dr. Fromm nicht allzu viel Hoffnungen: Wenn eine Gruppe auf einen Code eingeschworen ist, so muss man "sehr viele Jahre" in der Region gelebt haben; wenn aber ein Dorf- oder Familienslang kultiviert wurde, hat ein Au§enstehender keine Chance, sie zu verstehen. Nicht mein Problem: Interviews und Friedensarbeit klappen auch in anderer Sprache.
Das Schoenste scheint mir ohnehin die Poesie: Hier erfanden die Araber schon in vorislamischer Zeit ueber fuenfzehn komplizierte Versma§e, manche so schwierig anzuwenden, dass sie reine Theorie blieben und in ihnen niemals ein ganzes Gedicht verfasst wurde. Aber auch die weniger schwierigen Verse oder Lesestuecke stellen fuer mich alles bisher an dichterischem Sprechgesang Gehoerte, von der sapphischen Odenstrophe bis zum feinsten Westcoast-HipHop in den Schatten.
Nach drei Monaten: das erste Diktat. In der Vorbereitungszeit hoere ich taeglich unsere Sprach-CD. "Mohammed steht am Morgen auf, geht ins Bad und zieht seine Kleidung an", ich schreibe ein paar Naechte lang mit. Als Resultat bekomme ich ein Ekzem im Ohr, ich vermute, vom Buchstaben "Ain", der sich bei korrekter Aussprache wie "Wuergen bei †belkeit" anhoert, wie mein Palaestinenser-Prinz sagt. Und unser Meister, so bestaetigen alle Muttersprachler, denen man die Dr.-Fromm-CD vorfuehrt, spricht die Hochsprache "sehr, sehr gut", "besser als ein Araber".
Das Diktat ist geschrieben, die Texte sind im Kopf geblieben: Ich kann zwar noch nicht den Koran, aber immerhin diverse Lektionen des von Fromm selbst gestalteten Unterrichtsmaterials auswendig singen. Wie auf den Koran-CDs, die sich wie Live-Mitschnitte aus 1.001 Nacht anhoeren. Ich rezitiere - mein Wuestenprinz faellt fast um vor Begeisterung. Er staunt ueber das Mastkueken der Hochsprache: "Bald werde ich dir nicht mehr helfen koennen!"
Verstaendlich: In der wie am Rei§brett bei der Niederschrift des Koran im siebten Jahrhundert festgeschriebenen arabischen Grammatik ist viel auswendig zu lernen, "zu schlucken". Trotz mathematischer Regelhaftigkeit erscheint vieles wirr. Zum Bespiel die Zaehlung. "Die Zahlen elf bis neunundneunzig sind zusammengesetzte Zahlen, bestehend aus dem Zahlwort fuer die Einer vor dem Zahlwert fuer die Zehner. Mit Ausnahme der vollen Zehner haben sie jeweils eine maskuline und eine feminine Form. Die Zahlen 1 und 2 werden genuskongruent verwendet, waehrend die Zahlen 3 bis 9 genuspolar gebraucht werden. Bei elf bis neunundneunzig steht sowohl der Einer wie der Zehner immer im determinierten Akkusativ." Und dann aendert sich noch mal alles, je nach Geschlecht des Gezaehlten.
Da ist es auch keine Lernerleichterung mehr, dass die Araber nur drei Faelle, zwei grammatische Geschlechter und einen Artikel kennen. Die korrekte Kombination der Zahlen wird fuer mich zum persoenlichen Drama. Beruhigend: Auch die Araber beherrschen sie nur schlecht. Doch unser Doc kennt kein Pardon, die Zahlen muessen sitzen, "ein Dialekt ist sehr viel leichter zu erlernen, aber wir sprechen hier ja Hocharabisch". Dann stellt er laessig fest: "Ihre Intelligenz wird staendig auf die Probe gestellt."
Jetzt ist raus, was jeder von uns schon einmal dachte: "Dafuer bin ich zu bloed." Doch dann, ein Glueck, korrigiert er sich: "Nein, Intelligenz ist es nicht, was Sie fuers Arabische brauchen, es ist eine gro§e Festplatte zum Speichern aller eventuell moeglichen Lesarten eines Wortes." Doch noch mehr ist verlangt: Arbeitsspeicher und die XXL-Grammatik-Memory-Card koennen fuer diese Aufgabe nicht gro§ genug sein. Mit Ach und Krach, nach langen Tagen in der Bibliothek, geht's durch die Klausur.
Wir Anfaenger sprechen holpriges Arabisch miteinander. Welch gro§e gemeinsame Freude! Freundschaften wie in der Schulzeit entstehen. Jeder Falafelhaendler im Umkreis wird aufgesucht und radebrechend von uns belagert. Die Semesterferien verbringen wir zu fuenft in €gypten - Sprachurlaub. Fuer die durchgehend Slang sprechenden €gypter muessen wir wie Aliens wirken: junge Frauen, die mit groe§ter Muehe saubere Aussprache der feinen Hochsprache probieren, aber noch keine zusammenhaengenden Dialoge - au§er einfache Nacherzaehlungen - hervorbringen koennen. Denn die Gegenwartsform ist laut dem Doc noch zu kompliziert fuers erste Semester. Aber: Die Konversation laeuft, mit fuenfhundert deklinierten und konjugierten Woertern, und: immerhin in wohlklingendem Hocharabisch!
taz Magazin Nr. 7818 vom 12.11.2005, Seite V, 381 TAZ-Bericht zurueck
Posted by jaz at 12.11.05 8:30