« Vor der lieben, ruhigen Ehe | Main | Das Heilige Land als Auftrag »
7.10.04
Im Sinne guter Kameradschaft
In Kuerze wird die Dienstvorschrift zum sexuellen Verhalten von SoldatInnen neu geregelt. Wie laeuft es zur Zeit, wo Sex in den Kasernen noch verboten ist?
Sex faellt den meisten Menschen beim Stichwort "Bundeswehr" nicht sofort ein.
Verstaendlich aber ist, dass spaetpubertierende Wehrdienstleistende und junge ZeitsoldatInnen anders ueber dieses Thema denken. Denn bis zum Alter von 25 Jahren besteht Kasernenwohnpflicht - und unter Umstaenden muessen Waschbereich, Camp oder Stube vorschriftswidrig mit dem anderen Geschlecht geteilt werden.
Oder auch mit dem klassischen Armee-Albtraum des Hetero-Machos: mit leibhaftigen Schwulen. Sah man noch unter Verteidigungsminister Rudolf Scharping Menschen dieser Ausrichtung als "nicht verwendbar in Funktionen, die an Fuehrung, Erziehung und Ausbildung der Soldaten" gebunden waren, so hat sich dank der "Fuehrungshilfe fuer Vorgesetzte: Umgang mit Sexualitaet" von Dezember 2000 und der sie mittlerweile ersetzenden "Zentralen Dienstvorschrift 14/3 B 173" zumindest theoretisch Normalitaet entwickelt, wie der Vorstand des Arbeitskreises "Homosexueller Angehoeriger der Bundeswehr" erklaert. Die Realitaet sei allerdings "durchwachsen", und Toleranz koenne "erwartet werden, wenn man sich zuruecknimmt". Repraesentative Studien liegen zu diesem Thema noch nicht vor. Allerdings auch keine Klagen wegen sexueller Belaestigung von Mann zu Mann.
Die Marine hat als erste Einrichtung der Streitkraefte in der Offiziersausbildung Workshops zum "natuerlichen Umgang mit (Homo-) Sexualitaet" im Pflichtprogramm; Luftwaffe und Heer sind noch nicht so weit. Gleichstellungsbeauftragte sollen erst ab Januar 2005 eingefuehrt werden, derzeit sind die elf regionalen Ansprechpartner eher Fachfrauen fuer Frauenfragen. Im Bedarfsfall, einem Coming Out beim Bund etwa, leiten sie Ratsuchende an "Pfarrer und Psychologen" weiter und nicht immer an die Arbeitsgruppe Homosexueller Soldaten bei der Bundeswehr.
Seit die Bundeswehr im Jahr 2001 die …ffnung aller Bereiche fuer Frauen vollzog, sind rund 9.800 Soldatinnen in deutsche Kasernen gezogen. Knapp die Haelfte war oder ist an der Waffe taetig. Der Gro§teil von ihnen stammt laut Statistik aus besonders strukturschwachen Gebieten in Ostdeutschland, hat kein Abitur und ist atheistisch gesinnt. Naheliegend und bereits durch die im vergangenen Jahr veroeffentlichte Studie "Soldat, Weiblich, Jahrgang 2001" des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr belegt, erhofft sich die Gruppe der Zeit- und Berufssoldatinnen sozialen Aufstieg und einen herausfordernden, krisensicheren Job.
Wie wirkt sich der Einmarsch der gottlosen Flecktarn-Amazonen auf die Moral der Jungs der starken Truppe aus? Irritieren Brust und Pferdeschwanz im Feld? Muessen Frauen doppelte Leistung bringen, um akzeptiert zu werden?
Frauen, so interpretiert ein ranghoher Bundeswehr-Akademiker, weisen ein kommunikativeres Profil bei der Unterrichtsbeteiligung auf. Sie braechten gut entwickelte Sozialkompetenz mit und seien meist ueberwaeltigend ehrgeizig. Nicht gut fuer das maennlich-militaerische Selbstverstaendnis. Denn laut der Studie, die den ersten Frauenjahrgang 2001 bis 2003 begleitete, sprachen sich nur nur die Haelfte der befragten Maenner fuer eine vollstaendige …ffnung der Bundeswehr aus - im Gegensatz zu 84 Prozent der befragten Frauen.
Hat sich dank Gender-Workshops fuer Fuehrungskraefte und der bevorstehenden Einfuehrung von Gleichstellungbeauftragten die Stimmung vom traditionellen Sexismus entfernt, tobt beim Bund nun gar sexueller Umtrieb statt preu§ischer Disziplin? "Uns interessieren weder hetero- noch homosexuelle Beziehungen, solange sie nicht den Dienstbetrieb beeintraechtigen", ist von einem Bundeswehrsprecher diesbezueglich zu hoeren. Die Intimsphaere als Teil des Persoenlichkeitsrechts des Soldaten sei einer Einflussnahme des Dienstherren ohnehin grundsaetzlich entzogen.
Bislang aber muessen Vorgesetzte eingreifen, sobald sie von der Aufnahme sexueller Beziehungen innerhalb militaerischer Liegenschaften, auch au§erhalb der Dienstzeit, erfahren. Diese Eingriffe seien individuell verschieden und muessten, so erlaeutert Marinesprecher Kapitaen Kurt Leonards, im Sinne der "guten Kameradschaft" geregelt werden. So gestatte er eine eheaehnliche Partnerschaft mit dazugehoerigem Sex in einer Kaserne - wenn alle anderen SoldatInnen am Wochenende nach Hause fahren koennen. Ein Wehrdienstleistender in der Berliner Julius-Leber-Kaserne erklaert, es sei ganz einfach: "Wenn man 'n Maedchen hat, muss man halt den Chef fragen, ist auch ejal, ob die selber dient oder von drau§en ist. Sie muss nur frueh um sechse wieder raus sein. Bei uns ist det janz locker."
Was in der Kaserne offenbar geregelt werden kann, ist auf einem U-Boot nach wie vor streng tabu. Sex ist dort gar nicht gern gesehen, erlaeutert Kapitaen Kurt Leonards. Waere er direkter Vorgesetzter der drei derzeit auf deutschen U-Booten taetigen Frauen und ihrer Kameraden, so wuerde er koerperliche Kontakte strengstens untersagen. Das Kameradschaftsgefuege stuende sonst in Gefahr. "Stellen Sie sich die Situation in einem U-Boot, das bis zu sechs Monate unterwegs ist, doch mal vor. Neid und Eifersucht koennen wir da nicht gebrauchen." Da diese drei Soldatinnen, wie auch die beiden in der Ausbildung zur Mienentaucherin befindlichen Frauen bis zur Beendigung ihrer "physisch und psychisch stark belastenden" Ausbildung vor Medieninteresse geschuetzt werden, war leider kein Gespraech mit ihnen moeglich. Auch klappte es trotz mehrfacher Anfragen bei diversen Bundeswehrsprechern nicht, einen offiziellen Gespraechstermin mit Soldatinnen anderer Gattungen zu frauenspezifischen Problemen zu erhalten. Die offizielle Begruendung war stets, dass die Soldatinnen als "ganz normale Armeeangehoerige" betrachtet werden wollten und daher eine Thematisierung des real existenten Unterschieds ablehnten, um eine "besondere Stellung auch in der …ffentlichkeit nicht zu betonen".
Ralf Siemens, Sprecher der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militaer, interpretiert diese Absagen deutlich anders. Seiner Ansicht nach hat die Bundeswehr weder Interesse an der Aufdeckung aller Missstaende zwischen den Geschlechtern noch daran, die Maennerdominanz aufzubrechen. Er vermutet eine hohe Dunkelziffer an sexuellen †bergriffen und alltaeglichen Diskriminierungen, die zum einen nicht von den Soldatinnen an die Vorgesetzten, zum anderen nicht von den Vorgesetzten an den Wehrbeauftragten weitergeleitet wuerden.
Der aktuelle Bericht des Wehrbeauftragten faellt so denn auch Siemens' Meinung nach "aeu§erst schwach" aus. Wilfried Penner sei bereits bei Amtsantritt wegen "zu kritischer €u§erungen" vor den Verteidigungsausschuss "gepfiffen" worden, daher halte sich Penner, so Siemens weiter, mit Kritik am Bund lieber zurueck. Die rot-gruene Regierung habe Militaer mittlerweile als au§enpolitischen Faktor gesellschaftsfaehig gemacht und die Bundeswehr werde, so Siemens, nicht mehr so stark beobachtet wie noch in den neunziger Jahren - auch deshalb, weil sie mittlerweile nach den modernsten Prinzipien der Unterkommunikation arbeite.
Kann derartigen Misstaenden, seien sie belegt, vermutet oder verborgen, durch Liberalisierung weiter vorgebeugt werden?
Trotz der bestehenden theoretischen Moeglichkeit, die bestehenden Dienstvorschriften locker auszulegen, will Verteidigungsminister Struck in den naechsten Tagen eine Novelle erlassen, durch die Sex in militaerischen Liegenschaften generell gestattet wird. Damit auch SoldatInnen im Auslandseinsatz eine Chance auf freiwillige, koerperliche Kontakte bekommen - gilt dort doch die Pflicht, sich stets innerhalb des Militaergelaendes aufzuhalten. Zudem sollen laut Bericht des Wehrbeauftragten aus dem Jahr 2003 Disziplinarvorgesetzte von der indiskreten Pflicht entbunden werden, einzuschreiten und zu ueberpruefen, ob eine bekannt gewordene Liaison auf Dauer angelegt ist.
Die aktuell gueltige Zentrale Dienstvorschrift 14/3 B 173 sieht vor, den Dienst "sexuell neutral" zu regeln, sprich: die Geschlechtszugehoerigkeit in jedem theoretisch relevanten Punkt zu vernachlaessigen. Dank Punkt 4 dieses Erlasses darf bereits jetzt jeder mit jedem bzw. jeder versuchen - also auch die Vorgesetzte mit dem Untergebenen und umgekehrt -, solange die Annaeherung nach Dienstschluss passiert. Im Idealfall wird daraus dann die "einvernehmliche Aufnahme einer sexuellen Beziehung", im schlechtesten Fall eine der knapp hundert Beschwerden, die den Wehrdienstbeauftraften pro Jahr wegen sexueller Belaestigung erreichen. Im vergangenen Jahr waren es 83, immerhin waren auch einige Beschwerdefuehrer maennlich.
So hatte sich ein Wehrdienstleistender beschwert, dass eine Soldatin ihn nach einmaliger sexueller Nutzung vom Objekt ihrer Begierde zur Hauptfigur des Kasernentratsches degradiert hatte. "Der bringt es nicht im Bett!" und "Zu wenig in der Hose" lautetete die ueble Nachrede, derer sich die Soldatin schuldig machte. Der in diesem Fall die Wogen glaettende, in Gender-Study-Seminaren geschulte Bundeswehrverantwortliche wusste flugs und unbuerokratisch zu helfen: Er holte die beiden Zankparteien an einen Tisch, das Problem wurde zu dritt besprochen. Fortan war klar: Sie hatte sich bei ihrem Ex-Bettkameraden zu entschuldigen und muss die sexuelle Diskriminierung durch ueble Nachrede unterlassen.
Die Bundeswehr setzt im gesamten Problemfeld der sexuellen Belaestigung auf Schulung der Fuehrungskraefte in Gender-Fragen, nicht aber der Wehrdienstleistenden und ZeitsoldatInnen. Zum Vergleich: Als in einer ersten Studie zur Diskriminierung in der schwedischen Armee im Jahre 1999 rund 65 Prozent der Soldatinnen angaben, belaestigt worden zu sein, wurde umgehend beschlossen, alle Militaerangehoerigen diesbezueglich zu schulen. Bis zum Jahr 2002 hatte sich die Quote der Soldatinnen, die belaestigt worden waren, auf 47 Prozent gesenkt.
Als maennlicher Mobber oder Diskriminierender kommt man, falls die Frau den Mut aufbringt und das Vergehen meldet, meist nicht schnell davon. Ein Oberfeldwebel etwa hatte eine Rekrutin als faul beschimpft und sie aufgefordert, "ihren fetten Arsch" zu bewegen. Die Soldatin reichte Beschwerde ein - der Unteroffizier erhielt wegen der verbalen Verfehlungen eine Disziplinarbu§e auf Bewaehrung.
Anne R., Soldatin und LKW-Fahrerin im Logistik-Bataillon in Wilhelmshaven, erklaert sich die niedrige Zahl der Beschwerden damit, dass die meisten Frauen gerne nur als Soldaten, die ihren Dienst so gut und ehrgeizig wie moeglich verrichten, gesehen werden moechten. Also genau so, wie der Sprecher eingangs angab. Obwohl die Maenner sich oft und oeffentlich ueber sie lustig machten und mobbten - meist im Technischen Unterricht -, wuerde Anne R. wegen ein paar sexistischen Spruechen keinen Kameraden beim Vorgesetzten anschwaerzen.
Anne R. und ihre Kameradinnen befuerchten, bei Einreichung von Beschwerden den taeglichen Dienst nicht nur von den uebergriffigen Kameraden, sondern auch von den Vorgesetzten erschwert zu bekommen - mit fiesen kleinen Repressalien und subtilen verbalen Entgleisungen. Daher gelte fuer sie im Umgang mit Maennern eine aehnliche Denkweise wie fuer die Geschlechtsgenossinnen vor dem Kasernentor, die "ja auch nicht wegen allem gleich zur Polizei rennen". Zudem sei das dienstliche Procedere einer Beschwerde muehsam und ginge immer ueber den Vorgesetzten, der nicht selten ohnehin seine traditionell-gefestigte Meinung zu Frauen an der Waffe und zum Kameradenverpetzen haette. Also kontert sie lieber mit frechem Spruch und gesundem Selbstbewusstsein.
"Ja, die Messlatte fuer Belaestigungen liegt bei uns hoeher als in einem zivilen Buero", bestaetigt Katja Roeder, Oberleutnant und Leiterin der AG Soldatinnen. Schlie§lich gebe es den "Kodex der Kameraden", der Frauen ihre Beschwerde oft "runterschlucken" lasse.
Der erste Soldatinnenjahrgang hatte vom Sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut Tagebuecher erhalten, mit der Bitte, sie zum Umgang der Maenner mit ihnen zu fuehren. Die Lektuere enthuellt seelische Schmerzen der jungen Frauen: "Es kam mir rauher Ton entgegen (...) und dann dieser Satz: 'Ich will nicht, dass Du zur Kompaniematratze wirst.'" oder: "Uns Maedchen gegenueber sind die total abwertend - mehr oder weniger indirekt, aber allein die Tatsache reicht." Und weiter: "Ich pass auf, was ich sage - ich lass mir von niemandem in mein Innerstes gucken!". In der Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts liest sich das dann so: "Geruechte und Gerede werden zu die soziale Integration der Frauen behindernden und untergrabenden Instrumenten, denen die Frauen wiederum auch mit Strategien der Selbstisolation begegnen."
Anne R. und die wenigen jungen Frauen, die gemeinsam mit ihr die Grundwehrzeit in Wilhelmshaven ableisten, legen Wert auf vollkommene Gleichbehandlung: Auch wenn sie nur 25 Kilometer mit Zehn-Kilo-Rucksack marschieren mussten, nahmen sie doch lieber die Maennerstrecke von 30 Kilometern in Kauf. Um "es sich selbst zu zeigen" und um manchmal in den Genuss zu kommen, maennliche Kollegen beim erschoepften Aufgeben beobachten zu koennen. Um fasziniert zu sein vom eigenen Koerper, der es doch immer weiter, immer haerter schafft.
Einen Freund in derselben Kaserne zu haben koennen sich die jungen Frauen ueberhaupt nicht vorstellen. Schon jetzt sei ihre Kompanie ein einziger Tratschhaufen, und Gruende zum Spotten oder Laestern wollten sie den maennlichen Schandmaeulern unter gar keinen Umstaenden liefern. An die Dusche mit der ungenuegenden Sichtblende aus Milchglas im sanitaeren Maennerbereich hat sich Anne R. laengst gewoehnt. Sie "hofft und betet" einfach weiterhin, dass die Jungs sich den naheliegenden Pennaelerspa§ aufgrund der strengen Strafen (die von Ermahnung ueber Befoerderungsverbot bis hin zur Entlassung und zur Aufnahme eines zivilen Strafverfahrens gehen koennen) zu verkneifen wissen.
Die Studie belegt: Angriffsflaeche zu bieten ist fuer die Rekrutinnen tabu. Das Beduerfnis nach Verstaendnis und Zusammenhalt in der maskulinen Hierarchie scheint zu wachsen. Stutenbissigkeit, die 17,7 Prozent der Frauen im Vorfeld befuerchteten, scheint kaum nachweisbar. Eingangs hatten nur 14,9 Prozent der Soldatinnen Angst vor Repressalien durch maennliche Kameraden und Vorgesetzte, eine Angst, die sich regelmae§ig als gerechtfertigt bestaetigt. Neuere Zahlen gibt es voraussichtlich Ende 2004.
Zudem belegt die Untersuchung, dass Frauenfeindlichkeit existiert: "Die Analyse hat ergeben, dass sich die formale Integration leichter als die soziale Integration darstellt (...) und damit eine permanente Herausforderung bleibt." Immerhin sah die Haelfte der vom Sozialwissenschaftlichen Institut befragten maennlichen Soldaten "Frauen fuer anspruchsvolle koerperliche Taetigkeit nicht geeignet"; drei Fuenftel der befragten Soldaten befuerchteten "Einbu§e der militaerischen Kampfkraft" durch Frauen in den Reihen. Das war 2001, bevor die ersten Frauen kamen.
Posted by jaz at 7.10.04 15:59