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11.09.04
Vor der lieben, ruhigen Ehe
Kulturen dieser Welt zu erfahren ist ja ganz einfach: Vor allem frau, ohne Mann und Ring am Finger, wei§, dass internationaler Austausch problemlos auch in der Horizontalen erlebt werden kann. Nicht unbedingt jedoch in jenen Teilen €gyptens, die abseits der ausgetretenen touristischen Trampelpfade liegen.
Mohammed war 28, unschuldig und weltunerfahren. Der Huebsche, gut und glaeubig erzogen, bat mich bei einer Tasse Tee, ihm unsere Welt zu erklaeren. Weder seine Freunde noch das Internet hatten ihm bislang seine brennenden Fragen an den Westen beantworten koennen. Er wirkte freudig aufgeregt, fast erregt ob der nahenden Erklaerung.
Folgendes hatte sich begeben: Vor kurzem war Natascha zu ihm gekommen. Er huetete, wie jeden Tag, die Wasserpfeifen in seinem Laedchen. Die junge Russin begann nach kurzem Gespraech, ihm Komplimente zu machen. Sie schien ihn nett zu finden. Mohammed war €hnliches noch nie passiert. Er reagierte schuechtern, verdutzt und, ganz verschaemt, erfreut. Bald kam sie wieder in seinen stets kundenfreien Pfeifenladen. Dankbar und gluecklich griff er die Baelle der einfachen Kommunikation auf, die sie ihm zuwarf.
Englisch war nicht die Muttersprache der beiden. Trotzdem wollte er Freundschaft schlie§en, wie schon zuvor mit anderen Europaeern. Normalerweise, erlaeuterte Mohammed, schickt man sich bei so einer Freundschaft E-Mails oder SMSe. Kommen die Reisenden dann ein zweites Mal zurueck, laedt man sich gegenseitig zum Tee ein, plaudert und scherzt, wie nicht nur in €gypten unter Freunden ueblich.
Doch diese Begegnung schien sich andersartig zu entwickeln. Denn Natascha lud ihn zu einer Strandparty ein. Eingangs straeubte er sich zu kommen. Hatte Furcht vor Alkohol, denn Russen trinken gern, das wusste es bereits. Sie aber bestand auf seiner Anwesenheit, und um die Einladung mit Dringlichkeit zu versehen, fiel ihr auch noch ein, dass sie Geburtstag hatte. Der aufkeimenden Freundschaft halber rang er sich durch, zur vermeintlich verwerflichen Beachparty zu gehen. Doch - quelle surprise! - die Festgesellschaft fand nicht statt, der Strand sah nicht nach Feier aus. Zur Mitternacht sa§ er verwundert am anlandenden Roten Meer, als sich Natascha unbemerkt von hinten anschlich, ihm schwere Brueste ins Genick draengte und seinen Kopf herumzerrte. Der Weibsteufel in Person! Mohammed lief geschockt davon. Ihm wurde klar: Sie hatte gelogen. Die Freundschaft war geheuchelt. Sie wollte: Sex! "But how can this be?", lautete nun seine zentrale Frage.
Es ist ja so: In der Universitaet hatte er schon eine Freundin, die er liebte. Mit der er Haendchen haltend zarte Kuesse tauschte. Doch da ihm die €gyptischen Pfunde fehlten, um Hochzeit und Wohnung aus- und einzurichten, beendete er die Liaison. Nach drei schmachtenden Jahren ohne Jackpot in Sicht empfahl der Juengling seiner sanften Kopftuchschoenheit, nicht im Warten auf ihn zu vergehen. Denn bis er die 15.000 Euro fuer Gold, Feier und Aussteuer beisammen haette, wuerden Jahre, Jahrzehnte vergehen.
Nun brannte es ihm auf der Seele: Wie es denn sein koenne, dass eine junge Frau nicht auf die Liebe warten wollte? "In meinen Gedanken ist es schon", sagte er - andeutend, dass er sich gerne vorstelle, eine Auslaenderin zu lieben und zu heiraten. Nach Probezeit, mit langer Freundschaft, das mache fuer ihn Sinn. Wenn sie denn glaeubig sei, egal gemae§ welcher monotheistischen Religion. Nur atheistisch ginge gar nicht. Dann ueberschlug sich seine Stimme fast: "Wissen die in Russland nicht, dass der Koerper nur fuer den Ehepartner bestimmt ist?" Wie frau sich denn nach nur so kurzer Zeit, in der ja gerade mal die Freundschaft am Wachsen war, hingeben koenne? Erleuchtung in das interkulturelle Dunkel zu bringen war nun mein Job.
Welch gro§es Glueck, dass er zuvor nur auf Natascha, nicht aber auf Karina aus Berlin gesto§en war! Karina, 52, ist bekennende "Flirttouristin" der ersten Stunde. Seit nunmehr vierzehn Jahren verdreht sie mit ihrer reifen Weiblichkeit der Pharaonensoehne Koepfe. Um sie ganz gezielt zu nehmen. Manchmal blickt Karina vor lauter schnieken Ibrahims, Ahmeds und Saids schon selbst nicht mehr durch. Doch sie ist lieb zu ihren Jungs. Meist macht sie ihren drei§igjaehrigen jungfraeulichen Helden Geschenke, manchmal hilft sie auch mit Geld. Aber sie hat mehr als einen, dafuer aber keine Gebaermutter mehr, und deshalb voegelt sie mit vielen, ungeschuetzt, in einem kleinen Dorf. Haette ich Karinas Philosophie samt Verhalten erklaeren sollen, haette ich Mohammed wahrscheinlich komplett verstoert. Die Erlaeuterung des Russengirl-Verhaltens traute ich mir gerade noch so zu - sexuell-kultureller Brueckenbau auf easy English sozusagen.War sie eine der zahlreichen im Nahen Osten umtriebigen Prostituierten? Gehoerte sie zu den Frauen, die in Moskau in Champagner baden?
Entschlossen, sein freiheitliches Bild vom Westen nicht gleich durch die neuen Russen verzerren zu lassen, setzte ich niedriger an. Wir West- und besonders Ostgirls schauten in der selbstbestimmten Partnerauswahl genau hin. Doch das Koerperliche muessten wir nicht zwingend in die Ehe pressen. Dass wir ganz gern Erfahrungen machten, um spaeter vielleicht mal eine liebe, ruhige Ehe zu erleben. Nachdem wir die Welt und auch Maenner kennen lernen konnten. Dass wir eher wenig glaeubig seien. Dass wir unseren Gott als einen Liebe Schenkenden saehen. Einen, der auch Kurzzeitiges und Spontanverknallung gerne guthei§t.
Mohammed war noch unverstaendig, also ging die Lektion weiter. Er hoerte von der Revolution der Frau, von weiblichen Menschen, die Emanzipation und sexuelle Freiheit mit der Muttermilch traenken. Konnte ich ihm glaubhaft erklaeren, dass wir zur Anstandswahrung kein Kopftuch braeuchten? Dass wir Spa§ liebten, Verhuetung dabei wichtig sei und wir es trotz kurzer Roecke nicht schaetzten, als Freiwild gesehen zu werden - es sei denn, wir wollten es so dringend wie das Russenmaedchen. Und dass man dem Menschen, der gerade besonders wichtig ist, auch zu Wahrheit, Respekt und sogar temporaerer Treue verpflichtet sei - Natascha also mitnichten zwingend geplant habe, nach ihm den Rest des Dorfes flach zu legen. Sie habe ihn wohl einfach gern gemocht und ganz der russischen und emanzipierten Natur nach mit Begehren auf die verzaubernde Unschuld des Wuestenprinzen reagiert. Sie wollte wahrscheinlich Ehe mit ihm ueben. Man sage schlie§lich ueber Russen, ihr Herz sei gro§ - deshalb sei es bei der guten Natascha vielleicht so wahnsinnig schnell gegangen.
Bei Mohammed sah ich es im Kopfe rattern. Er sprach langsam einzelne Worte nach und merkte sich die Jahreszahlen. 1918. 1945. Stotternd wiederholte er immer wieder: 1968. Er bat um Bedenkzeit. Er muesse dies alles verkraften, ueberdenken, mit seinen Freunden bei einer Tasse Tee besprechen.
Nachts konnte ich nur schlecht schlafen. Durch meinen Traum flitzten staendig leuchtende Neonschriftzuege mit boesen Worten wie "Sexualitaet - Vehikel der Globalisierung!", "primitivster Imperialismus!", "westliche Infiltration!". Hatte ich richtig gehandelt oder unnoetig irritiert? Die einheimische Welt verwirrt in einem Ausma§, dessen Ende unabsehbar schien? Ihn gar in eine Identitaetskrise gestuerzt, die zu seiner Radikalisierung, bis hin zum Attentaeter, fuehren wuerde? Doch Moment! Er war ein junger Mann mit akzeptablem Englisch, studiert und interneterfahren. Und die Russin haette er niemals auch nur ansatzweise verstehen koennen. Haette ich Aufklaerung verweigern sollen, aus Respekt vor seiner Kultur, seiner Religion? Ganz sicher: nein.
Tags drauf traf ich ihn erneut. Im Teehaus hatten er und seine Freunde einen Konsens mit dem Westen gefunden: Beim naechsten Girl wird abgewartet. Wenn sie dann E-Mails schreibt und wiederkommt, mit ihm von Heirat sprechen mag, dann wird sie seines Leibes wuerdig. Dann, und nur dann, waere er bereit, sich hinzugeben. Immerhin: auch trauscheinfrei.
Posted by jaz at 11.09.04 15:55