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7.12.01
Bucht des Vergessens
Der Wuestenort Eilat am Roten Meer ist das Las Vegas Israels. Der verlorenen Jugend des Landes wird hier Hedonismus in Reinkultur geschenkt, trotz Intifada und Militaerdienst.
Veroeffentlicht im taz Mag 7.12.2001
"Tell the Israelis we miss them!", schickt mir der aegyptische Sammeltaxifahrer in Taba am noerdlichen Golf von Akaba hinterher. Die aegyptischen Beamten begrue§en mich freudig-verwundert, als ich mich aus 46 Grad Wuestenhitze in ihre voll klimatisierte Grenzabfertigungshalle begebe und mich mit "Asalam Aleikum" zur Ausreisevisaprozedur nach Israel melde. Zu Fu§ ueber die Grenze spazierende Touristen haben die Beamten schon lange nicht mehr gesehen, die zweite Intifada zwingt den Tourismus der Region in die Knie.
Angeblich, so hat man mir in €gypten erzaehlt, ist ein Israeli tot auf dem Sinai gefunden worden, kurz nach dem 11. September. Da bei dem Ermordeten sowohl Drogen als auch Geld gefunden worden sein sollen, interpretieren die Israelis in Eilat diesen Mord als politische Exekution durch muslimische Extremisten. Seither ist kein Israeli mehr nach €gypten gereist, erzaehlt mir ein laessig an seiner M16 spielender neunzehnjaehriger Grenzsoldat der Israel Defense Force.
Er hat mich bei meinem Spaziergang ueber das Niemandsland herausfordernd betrachtet und scheint sich derweil spannende Gespraechsthemen ueberlegt zu haben. Da es zur Zeit keine Touristen mehr gibt, wei§ er, dass ich Journalistin sein muss. "Its the situation - fuckin Muslims hate us all", stellt er in legerem Tonfall fest, bevor er mich fragt, ob ich denn schon Plaene fuer den Abend haette. Ob ich kiffen wuerde, ganz Israel sei stoned, vor allem die Armee. Wie ich das denn nicht wissen koenne.
Es folgt der Eintritt in die neonschreiende Scheinwelt von Eilat, dem israelischen Las Vegas am Roten Meer. An diesem vermeintlich abgelegenen Eckchen der Welt, direkt hinter dem Schlagbaum, ringen mehr futuristische Schokoriegel und Wunderbaeume um gute Kioskpositionierungen als im echten Las Vegas. Uniformierte Maedchen fuehren mit mir das obligatorische Einreiseinterview und schicken mich dann in die Wueste, vielmehr: mit der Versicherung, bald ein Taxi oder einen Bus zu finden, auf die gluehend hei§e Grenzstra§e, die seit mehr als einem Jahr von fast niemandem mehr befahren wird.
Acht Kilometer bis Eilat City per Anhalter zu fahren erscheint mir die einzige Loesung. Das erste Auto haelt. Elad, ein 48-jaehriger Kriegsveteran und Kibbuzbewohner von Kindesbeinen an, ist wie alle mir noch begegnenden Israelis begeistert, in diesen Zeiten einen Europaeer in seinem Land zu treffen. Sofort flucht er auf seine Regierung, die es ihm unmoeglich mache, sein Business aufrechtzuerhalten. Als Gebietsleiter des weltgroe§ten Gabelstablervertriebs ist er fuer den Verkauf und die Wartung von Gabelstablern auch in Gaza zustaendig. Termine dort koenne er schon lange nicht mehr einhalten, Businesslunches im Westjordanland muesse er stets mit den Nachrichten abstimmen. Als waere ich persoenlich schuld an the situation, schreit er unvermittelt: "And I pay my taxes for the fuckin army to have my clients killed!"
Die Beach Area von Eilat City praesentiert sich als Konzentrat des Hedonismus, ein Deutscher palaestinensischer Abstammung sagte mir: als flammender zionistischer Stern der Besatzer in ihrem verlorenen Land. Am Strand donnert lauter Goa-Trance, 24 Stunden nonstop laeuft die Party. Alles ist erlaubt, die Polizei schreitet nicht einmal gegen offenen Drogenkonsum ein. In jedem Supermarkt liegt der sechzehnseitige Lokalanzeiger fuer russische Prostituierte aus. Dass sich noch kein Palaestinenser in Eilat in die Luft sprengen konnte, liegt an der Groe§e der Wueste Negev und den Dutzenden Stra§enkontrollen auf der einzigen Wuestenstra§e. Eilat ist laut Soldatenauskunft zum safest place in the world geworden.
Elad laedt mich zu einer Runde Schwimmen am gro§zuegigen Pool seines Kibbuzes ein. Danach spaziere ich durch Downtown Eilat, ein dreistoeckiges Partyzentrum mit wummernden Freiluftdiskotheken und angeschlossenem Goa-Hippiebazar. Drei§igtausend Quadratmeter Love Parade, taeglich, auf drei Megafloors in vierzig Locations. Groe§ere Diskotheken au§erhalb oder an den Docks nicht inbegriffen. Wer sich hier allnaechtlich mit Alkohol und Partydrogen ins Wunderland zu beamen versucht, wird schnell klar: Soldaten und Soldatinnen auf Wochenendausflug und ebensolche nach abgeschlossener Armeeausbildung.
Die arbeitende Bevoelkerung in Eilat rekrutiert sich aus Maennern, die frisch aus der Armee kommen. Sie verdienen sich in diesem Ausflugsziel ihr Ticket in die gro§e Welt. Nach Ende der Militaerzeit, im Alter zwischen 21 und 23, ist eine wilde Zeit in Indien oder Mexiko obligatorisch. Strahlend schoene Maedchen und Jungs mit Dreadlocks, taetowiert, an der Waffe ausgebildet, servieren ab zwoelf Uhr mittags teure, harte Longdrinks in der Wuestensonne.
Zwoelf Kilometer weiter suedlich liegt der €gypter derweil im Schatten und schlaegt Reisenden vor, gegen die Hitze gepflegt anzukiffen. Das, lehrt mich die Wohngemeinschaft von Shivan, einer anmutigen 21-jaehrigen Schoenheit, die ich in Eilat am Strand treffe, wird diesseits der Grenze nach getaner Arbeit genauso zelebriert. Doch neben Joints mit feinem libanesischem Haschisch wird am Abend in den gro§zuegig geschnittenen Apartments gerne auch mal Kokain gesnifft oder die doppelte Portion in der arabischen Wasserpfeife geraucht.
Ich erinnere mich an die Klagen der Beduinen im aegyptischen Dahab, dass seit Ausbruch der zweiten Intifada kein gutes Haschisch mehr gekommen sei. Es gehe nun direkt aus dem Libanon nach Israel. Genau hierhin - und natuerlich auch direkt in die Kasernen.
Shivan ist Sergeant in der Israel Defense Force gewesen, sie freut sich schon, im naechsten Jahr als Reservistin wieder ihre "Boys" zu betreuen und sie im Feld "zu neuen Hoechstleistungen" anzutreiben. Sie leitet Kurse in Staatsbuerger- und Handfeuerwaffenkunde. Stolz erzaehlt sie mir von der Gro§zuegigkeit Israels, den €gyptern our Sinai zu lassen, von der Kaltherzigkeit, mit der die fuckin Muslims fuenf israelische Reisende auf dem Sinai ermordet haetten.
Und von ihren Plaenen, in Tokio Designerschmuck zu verkaufen, eine Freundin aus der Armee sei bereits gut im Geschaeft. Danach ein halbes Jahr lang dem hemmunglosen LSD-Konsum in Goa froenen, auf Goa-Open-Airs in Europa herumreisen, mit Opium gestrecktes Haschisch und Chillums verkaufen, dann studieren, jaehrlich drei§ig Tage Reserverdienst, heiraten, arbeiten, Kinderkriegen. "This is how we do it. How everybody does it over here!"
Zurzeit arbeitet Shivan wie hunderte junge, sehr erwachsen wirkende Menschen in einer der zahlreichen Strandbars fuer zehn Dollar plus Trinkgeld die Stunde, einem guten aegyptischen Wochenverdienst. Wer flei§ig in der Armee war, bekommt hier eine Chance auf einen Tagesverdienst um die hundert Dollar. Barkeeper- und Reinigungsjobs werden von osteuropaeischen Maennern fuer zwanzig bis fuenfzig Dollar am Tag erledigt. Frueher waren es Palaestinenser.
"Die israelische Mentalitaet taugt nicht zum Dienen", erklaert mir Avi, ein Mitbewohner von Shivan. Unpuenktlich duerfe man in der Armee sein, alle waeren sowieso stoned, offiziell gebe es zwar keine Chance zum Geschlechtlichen, ein Panzer, Lkw oder Bunker faende sich aber meist im Bedarfsfall, in dem es dann schnell, heimlich und very exciting zur Sache ginge. Beziehungen seien allerdings nur innerhalb einer Rang- und somit Altersstufe gestattet.
Shivan schnauft, als ich der Wohngemeinschaft den Gru§ des €gypters ausrichte, nur veraechtlich "They miss only our money!" Anschlie§end fragt sie mich, ob ich mich denn in Deutschland noch sicher fuehle, schlie§lich lebten ja so viele "unberechenbare Muslims bei euch, die eines Tages aufwachen werden".
Auf mein stolzes Plaedoyer fuer Berlin als gro§e ethnische und religioes gemischte Gemeinde ernte ich mitleidsvoll-veraechtliche Blicke von den knapp volljaehrigen, mit Elfen- und Magic-Mushroom-Motiven taetowierten, an der Waffe trainierten Verfechtern der Antiterrorallianz.
Am sechsten Tag meines Israelbesuches habe ich Angst um meine seelische Gesundheit und meine Reisekasse und spaziere wieder in Richtung €gypten. Kaum bin ich zurueck in Berlin, ruft Elad mich an und ist schockiert vom Eindruck, den die israelische Jugend auf mich gemacht hat - woraufhin er mir umgehend einen Platz in einem linken Kibbuz bei Nazareth organisiert, den ich aber dankend ablehne.
Posted by jaz at 7.12.01 7:59